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Der Jüngling aber bewies seineTreue in ausserordentlicher Weise; denn obwohl die Zeitverhältnisse ihm sehr viel Gelegenheit boten, sich zu bereichern, so dass er in kurzem der Reichste seiner Zeit hätte werden können, zog er doch den wahrhaft echten Reichtum dem unechten und den „sehenden" dem „blinden" (Vgl. Über Abraham § 25.) vor und speicherte alles Silber und Gold, das er aus dem Verkauf des Getreides zusammenbrachte, in den Schatzkammern des Königs auf und entwendete nicht eine Drachme, sondern begnügte sich allein mit den Geschenken, die der König zum Dank ihm machte. Wie ein einzelnes Haus verwaltete dieser Mann Ägypten und mit ihm die andern vom Hunger bedrückten Länder und Völker in überaus fürsorglicher Weise, indem er die Nahrungsmittel angemessen verteilte und nicht nur auf den Nutzen für die Gegenwart, sondern auch auf den Vorteil für die Zukunft sah. Als nämlich das siebente Jahr der Hungersnot anbrach, liess er, da man bereits wieder auf Fruchtbarkeit und guten Bodenertrag hoffen durfte, die Ackerbauer holen und gab ihnen Gerste und Weizen zur Aussaat, sorgte aber dafür, dass niemand etwas entwendete, sondern jeder das, was er empfing, wirklich dem Boden anvertraute; er stellte nämlich Späher und Wächter nach sorgfältiger Auswahl an, die die Aussaat zu überwachen hatten.
Als aber lange nach der Hungersnot der Vater gestorben war, wurden die Brüder wieder von Argwohn ergriffen und fürchteten, dass ihre böse Tat ihnen noch immer nachgetragen werde, und dass sie jetzt dafür würden büssen müssen; deshalb gingen sie zu ihm, nahmen ihre Frauen und Kinder mit und baten flehentlich um Verzeihung. Er aber erwiderte ihnen weinend: „Der Zeitpunkt ist zwar geeignet argwöhnische Besorgnis denen zu erregen, die einstmals Entsetzliches verübt haben und bisher in keiner andern Weise als blosss durch ihr Gewissen dafür bestraft sind; ja, der Tod des Vaters hat die alte Furcht, die ihr vor der Wiederversöhnung hattet, erneuert, als ob ich damals nur, um den Vater nicht zu betrüben, die Verzeihung gewährt hätte. Ich aber wandle meinen Sinn nicht mit den Zeiten, und nachdem ich einmal erklärt habe Frieden zu halten, werde ich niemals feindselig handeln; denn ich habe nicht die Rache verschoben und die rechte Zeit abgewartet, sondern habe die Befreiung von jeder Strafe für immer gewährt, teils aus Ehrfurcht vor dem Vater — denn ich darf nicht lügen —, teils aber auch aus inniger Liebe zu euchl. Aber wenn ich auch blosss des Vaters wegen so edel und menschenfreundlich gehandelt hätte, so will ich es doch auch so halten, nachdem der Vater tot ist; denn nach meinem Urteil ist kein tugendhafter Mann tot, ein solcher lebt vielmehr immerfort, nie alternd, in unsterblicher Wesenheit, als Seele, die nicht mehr an die Enge des Körpers gefesselt ist. Was brauche ich aber nur des sterblichen Vaters zu gedenken? Haben wir doch den unvergänglichen, den unsterblichen, den ewigen (Vater), „der alles sieht und alles hört" (Zitat aus den Homerischen Gedichten, wo diese Worte vom Sonnengotte gebraucht werden (Il. III 277. Od. XI 109. XII 323).), auch das was im stillen geschieht, der stets auch das sieht, was im innersten Winkel der Seele vorgeht: ihn rufe ich als Zeugen an für die aufrichtige Versöhnung in meinem Gewissen. Denn — wundert euch nicht über meine Worte — „Gottes bin ich" (1 Mos. 50,19) (Die Septuaginta übersetzt die Worte Josephs הֲתַ֥חַת אֱלֹהִ֖ים אָֽנִי׃ (bin ich an Gottes Statt?) durch τοΰ θεού γάρ είμί έγώ (ich bin Gottes, ich gehöre Gott an).), der eure schlimmen Pläne in ein Übermass von Glück verwandelt hat. Seid also ohne Furcht, in Zukunft soll eure Lage eine noch günstigere sein als die, deren ihr euch zu Lebzeiten des Vaters erfreut habt".
