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Sie waren natürlich über die Drohung sehr betrübt und von der Anklage ganz niedergedrückt. Da trat der vierte der Brüder vor — er war keck und zuversichtlich, ohne unbescheiden zu sein, und freimütig, ohne unverschämt zu sein — und sprach: „Ich flehe dich an, ο Herr, nicht deinem Zorn nachzugeben und deshalb, weil du die erste Stelle nach dem Könige einnimmst, gleich zu verurteilen, ehe du unsere Verteidigung angehört hast. Als du bei unserm ersten Aufenthalt uns nach dem Bruder und dem Vater fragtest, erwiderten wir: der Vater ist ein alter Mann, nicht sowohl durch die Zeit gealtert als durch die zahlreichen Schicksalsschläge, die er wie ein Ringkämpfer immerfort zu bestehen hatte, so dass er in lauter Mühseligkeiten und unerträglichen Kümmernissen sein Leben verbracht hat; der Bruder aber ist noch sehr jung und wird vom Vater unendlich geliebt, da er ein Spätgeborener ist und von zwei leiblichen Brüdern allein übrig blieb, denn der ältere wurde durch einen gewaltsamen Tod dahingerafft. Als du aber befahlst, den Bruder hierher zu bringen, und drohtest, wenn er nicht käme, auch uns ferner nicht zu gestatten, vor dein Angesicht zu kommen, zogen wir sehr betrübt ab und meldeten, kaum nach Hause zurückgekehrt, dem Vater den von dir erhaltenen Befehl. Er widersprach anfangs, da er um den Knaben sehr besorgt ist; als uns aber die Lebensmittel ausgingen und keiner von uns wegen deiner Drohungen wagte, zum Getreidekauf hierher zu reisen ohne den Jüngsten, liess er sich nur mit Mühe überreden ihn mitzuschicken; er machte uns viele Vorwürfe, weil wir bekannt hatten, noch einen Bruder zu haben, und beklagte es gar sehr, dass er sich von ihm trennen solle; denn er ist noch unmündig und unerfahren in allen Dingen, nicht nur in Angelegenheiten der Fremde, sondern auch in einheimischen. Wie sollen wir nun zu dem so gesinnten Vater zurückkehren? Wie werden wir ihm, (wenn wir) ohne den Knaben (kommen), in die Augen sehen können? Er wird — ο des Jammers! — sterben, wenn er nur vernimmt, dass der Knabe nicht zurückgekehrt ist. Dann werden uns Mörder und Vatermörder nennen alle feindlich Gesinnten, die über solches Unglück Schadenfreude empfinden. Der grösste Teil der Schuld aber wird auf mich fallen; denn viele Versprechungen habe ich dem Vater gemacht, ich erklärte ihm, dass ich ein anvertrautes Pfand übernehme, das ich zurückgeben werde, wann es verlangt wird. Wie aber kann ich es zurückgeben, wenn du dich nicht erbitten lassest? Ich flehe dich an, Mitleid zu haben mit dem Greis und zu Redenken, welcher Kummer ihn treffen wird, wenn er (den Knaben) nicht wiedererhält, den er mir widerwillig anvertraut hat. Verhänge du nur die Strafe für die Schädigung, die du erlitten zu haben glaubst. Ich will sie gern auf mich nehmen; erkläre mich vom heutigen Tage an als deinen Sklaven, freudig will ich die Arbeiten eben gekaufter Sklaven verrichten, wenn du den Knaben ziehen lassen willst. Die Gnade aber, falls du sie gewährst, wird nicht (der Knabe) selbst empfangen, sondern der von seinen Sorgen befreite Mann, der nicht anwesend ist, der Vater dieser Männer hier, die alle als Schutzflehende vor dir stehen; denn Schutzflehende sind wir, die zu deiner erhabenen Rechten flüchten („Zur Rechten flüchten", weil man die Rechte gibt zum Zeichen einer Zusage, eines Versprechens, einer Gnade.) — ο möchte es keine Fehlbitte sein! Habe Mitleid mit dem Alter eines Mannes, der zu jeder Zeit nur Kämpfe der Tugend durchgekämpft hat. Die Städte Syriens hat er für sich gewonnen, so dass sie ihn freundlich aufgenommen haben und ihn achten, obwohl er fremdartige und von den ihrigen sehr abweichende Sitten und Gebräuche hat und sich von den Eingeborenen ziemlich fernhält. Aber seine vortreffliche Lebensführung und die volle Übereinstimmung seiner Worte mit seinen Handlungen und seiner Handlungen mit seinen Worten brachten es dahin, dass er auch die wegen der väterlichen Gebräuche nicht Wohlgesinnten umstimmte. So wirst du eine solche Gnade erweisen, wie sie grösser nicht leicht einer empfangen kann; denn welch grösseres Geschenk könnte einem Vater zuteil werden, als einen schon aufgegebenen Sohn zurückzuerhalten?"
