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Diese Reden vernahm der von ihnen verkaufte Bruder, als sie leise miteinander sprachen, weil ein Dolmetscher zugegen war; und überwältigt von seinen Gefühlen, da er nahe daran war in Tränen auszubrechen, wendet er sich weg, um sich nicht zu verraten (Fast dieselben Worte gebraucht in der Wiedergabe der biblischen Erzählung (1 Mos. 42,24) Josephus Altert. II § 109: „als Joseph die Brüder so ratlos sah, brach er, von seinen Gefühlen (überwältigt), in Tränen aus, und da er sich den Brüdern nicht verraten wollte, wandte er sich weg und kehrte erst nach einer Weile zu ihnen zurück".), und vergiesst heisse Tränen. Nachdem er sich ein wenig erleichtert und sein Gesicht getrocknet hat, wendet er sich wieder zu ihnen und befiehlt, vor aller Augen den Zweitältesten der Brüder zu fesseln, der ihm selbst in der Reihe gegenüberstand; denn der zweite unter mehreren entspricht dem vorletzten, wie dem letzten der erste. Vielleicht aber (nahm er diesen) deshalb, weil er den grössten Anteil an dem begangenen Unrecht zu haben schien und gewissermassen der Anführer war, der die anderen zur Feindseligkeit antrieb; denn wäre er auf die Seite des ältesten (Bruders) getreten, der den guten und menschenfreundlichen Rat gab, so wäre vielleicht durch ihn, der jünger war als jener, aber älter als die anderen, das Verbrechen verhütet worden, weil die zwei, die den höchsten Rang und das grösste Ansehen besassen, völlig einer Meinung über die Sache gewesen wären, was schon an sich grosses Gewicht gehabt hätte. Nun aber hatte er die freundliche bessere Partei verlassen und war zu der unfreundlichen schlimmen übergetreten und hatte als ihr erklärter Führer die Genossen der Freveltat so ermutigt, dass sie unnachsichtlich die schändliche Tat zur Ausführung brachten. Aus diesem Grunde wurde, wie mir scheint, er allein von allen in Fesseln geschlagen (Nach dem Midrasch war es Simeon, der Joseph nahm und in die Grube warf (1 Mos. 37,24) und der sagte: siehe, der Träumer kommt da (ib. v. 19). Vgl. Beresch. R. c. 84 zu 1 Mos. 37,24 und Raschi zu 1 Mos. 42,24. Vgl. auch Testam. XII patriarch. Simeon 2,6 f.). Die anderen aber rüsten alsbald zur Heimkehr, während der Landesverweser den Getreideverkäufern den Befehl erteilt, die Säcke der Brüder wie die von Gastfreunden sämtlich zu füllen, das Geld, das sie dafür empfangen hatten, heimlich an den Öffnungen niederzulegen, ohne den Käufern etwas zu sagen, und drittens Nahrungsmittel, die für den Weg ausreichen, besonders hinzuzutun, damit das von ihnen gekaufte Getreide unvermindert nach Hause gelange. Als sie sich auf dem Wege befanden, bemitleideten sie natürlich den gefangenen Bruder, nicht minder aber waren sie in Sorge wegen des Vaters, der nun schon wieder von einem Missgeschick hören sollte, als ob auf jeder Reise sein Kindersegen vermindert und geschwächt werden müsste, und sprachen untereinander: „Er wird gar nicht glauben wollen, dass er nur gefangen ist, er wird die Gefangenschaft vielmehr für einen Vorwand seines Todes halten, weil die einmal von einem Unglück Betroffenen gewöhnlich wieder in dasselbe Unglück geraten". Unter solchen Reden bricht der Abend herein; sie nehmen daher den Zugtieren die Lasten ab und gönnen ihnen Ruhe, während sie selbst nur noch schwerere Sorge im Herzen empfanden; denn beim Ausruhen des Körpers pflegt die Seele, die sich das Unangenehme dann deutlicher vorstellt, gar sehr gequält und geängstigt zu werden.
