21.
Als der König die geradezu und scharfsinnig die Wahrheit treffende Deutung der Träume und den allem Anscheine nach sehr nützlichen Rat wegen der Vorkehrungen für die ungewisse Zukunft vernommen hatte, hiess er die Vertrauten näher herankommen, damit jener ihn nicht höre, und sagte: „Ihr Männer, werden wir wohl einen solchen Mann finden, der göttlichen Geist in sich hat" (1 Mos. 41,38)? Und da sie Zustimmung und Beifall bekundeten, sagte er mit einem Blick auf den dastehenden Jüngling: „Nahe ist der, den du uns suchen heissest, nicht weit entfernt ist der kluge und einsichtige Mann, der deine Ratschläge zur Ausführung bringen soll; du selbst bist es; denn nicht ohne göttliche Eingebung, scheint mir, sprichst du dies alles aus. Wohlan denn, übernimm die Sorge für mein Haus und die Verwaltung von ganz Ägypten. Keiner wird mir Leichtfertigkeit zum Vorwurf machen, wenn ich darin nicht der Eigenliebe folge, einem schwer zu beseitigenden Gefühle; denn grosse Naturen werden in ganz kurzer Zeit erkannt, da sie durch ein Übermass von Fähigkeiten zu unverzüglicher Anerkennung ihrer Person zwingen; die Dinge selbst vertragen auch kein Zögern und Säumen, die Verhältnisse drängen zu den notwendigen Vorkehrungen". Alsbald setzt er ihn zum Stellvertreter in der Regierung ein oder vielmehr, wenn ich die Wahrheit sagen soll, zum Herrscher, da er selbst nur den Herrschernamen für sich behielt, die tatsächliche Re-gierung aber jenem überliess und alles tat, um den Jüngling zu ehren. Er gibt ihm den königlichen Siegelring und ein königliches Festgewand und eine goldene Halskette und lässt ihn den zweiten der königlichen Wagen besteigen und in der Stadt herumfahren, wobei ein Herold voranschreitet und denen, die es noch nicht wissen, die Wahl verkündet. Er legt ihm auch in einheimischer Sprache einen von der Traumdeutung hergenommenen andern Namen bei und gibt ihm zur Ehe die vornehmste der Ägypterinnen, eine Tochter des Priesters des Sonnengottes. Das geschah, als er gerade 30 Jahre alt war. So gestaltet sich schliesslich das Schicksal der Frommen; wenn sie auch einmal niedergedrückt werden, stürzen sie doch nicht gänzlich, sondern erheben sich wieder und stehen fest und sicher aufrecht, so dass sie nicht mehr zu Falle gebracht werden können. Wer hätte erwartet, dass an einem Tage plötzlich einer vom Sklaven zum Herrn, vom Gefangenen zum Allervornehmsten und vom Gehilfen eines Gefängnisaufsehers zum Stellvertreter des Königs werden und statt des Gefängnisses die Königsburg bewohnen und aus äusserster Schande heraus zu den ersten Ehren gelangen würde? Solches ist gleichwohl geschehen und wird noch oft geschehen, wenn es Gott gefällt; nur muss in den Seelen ein Funke von Tugendhaftigkeit glimmen, der einmal entfacht auflodern muss.
