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Nun war er überwältigt von seinem verwandtschaftlichen Gefühl und schritt rasch zur Wiederversöhnung mit ihnen; und um die Brüder nicht zu beschämen wegen ihrer Handlungsweise, wünschte er, dass keiner von den Ägyptern bei der ersten Wiedererkennung zugegen sei. Er befahl deshalb der ganzen Dienerschaft hinauszugehen; dann brach er plötzlich in eine Flut von Tränen aus, gab ihnen mit der Rechten ein Zeichen, näher heranzutreten, damit nicht zufällig ein anderer ihn hören könnte, und sprach zu ihnen: „Eine verborgene und lange Zeit mit Schweigen bedeckte Sache will ich euch enthüllen und rede deshalb allein mit euch allein: der Bruder, den ihr nach Ägypten verkauft habt, bin ich selbst, den ihr jetzt vor euch stehen sehet". Da sie über diese unerwartete Kunde erschrocken und bestürzt waren und wie infolge eines gewaltsamen Stosses die Augen zur Erde senkten und stumm und starr dastanden, fuhr er fort: „Betrübet euch nicht, Verzeihung gewähre ich euch für alles, was ihr an mir getan, suchet nicht nach einem andern Fürsprecher; ungeheissen und freiwillig komme ich zur Versöhnung mit euch, ich folge zwei Ratgeberinnen, der Pietät gegen den Vater, dem ich hauptsächlich meine Gnade widme, und der natürlichen Freundlichkeit, die ich gegen alle Mensehen übe, besonders aber gegen die von meinem Blute. Auch meine ich, dass das Geschehene nicht von euch, sondern von Gott veranlasst ist, weil er wollte, dass ich der dienstfertige Bote seiner Gnadengeschenke werde, die er in diesen Zeiten der Not dem Menschengeschlechte gewähren wollte. Einen deutlichen Beweis könnt ihr aus dem entnehmen, was ihr hier sehet: über ganz Ägypten bin ich als Verwalter gesetzt, ich nehme die erste Ehrenstellung beim Könige ein, und er, der älter ist als ich, ehrt mich, obwohl ich jung bin, wie einen Vater; und verehrt werde ich nicht nur von den Bewohnern dieses Landes, sondern auch von sehr vielen andern Völkern, sowohl untertänigen als selbständigen; denn alle bedürfen eines Schutzherrn wegen der Hungersnot. Silber und Gold und, was viel notwendiger ist, die Nahrungsmittel werden bei mir allein aufbewahrt, ich verteile sie nach den notwendigen Bedürfnissen an alle Bedürftigen, so dass weder Überfluss an Mitteln zum Schwelgen vorhanden ist, noch auch etwas fehlt zur Beseitigung der Not. Aber das erzähle ich nicht, um mich zu brüsten und damit zu prahlen, sondern damit ihr erkennet, dass nicht ein Mensch der Urheber solchen Glückes werden konnte für einen, der einst Sklave und dann auch Gefangener war — ich wurde nämlich auch einmal auf falsche Anklage hin gefangengesetzt —, sondern dass Gott es war, der das schlimmste Unglück und Missgeschick in das höchste und herrlichste Glück verwandelt hat; denn ihm ist ja alles möglichl. So denke ich; darum fürchtet euch nicht mehr, werfet allen Kummer von euch und wandelt ihn in heiteren Frohsinn um. Es wäre auch gut, wenn ihr schnell zum Vater eiltet, um ihm zuerst die frohe Botschaft von meiner Auffindung zu bringen; denn Gerüchte dringen schnell überall hin".
