Erster Artikel. Das Dasein Gottes wird nicht mit Naturnotwendigkeit erkannt. Vgl. Schneider: „Natur, Vernunft, Gott“, Nr. 87, 98.
a) I. Gegen diese Behauptung erklärt sich Damascenus (I. de fide orthod. c. 1. et 3.), der da behauptet: „Kraft der Natur wohnt allen die Kenntnis inne, daß Gott ist.“ Was aber kraft der Natur uns bekannt ist, das ist uns notwendigerweise aus sich heraus und ohne weiteren, vorhergehenden logischen Schluß bekannt; wie das bei den ersten Principien der Fall ist, z. B. beim Widerspruchsprincip. Also ist die Kenntnis vom Dasein Gottes vielmehr der Ausgangspunkt und das Princip aller logischen Schlüsse wie selber das Ergebnis vernünftiger Thätigkeit. II. Ganz dasselbe geht aus rein vernünftiger Erwägung hervor, ohne daß eine Autorität in Anspruch genommen würde. Denn offenbar ist mit Notwendigkeit erkannt das, was jeder kennt, der das betreffende Wort hat mit Verständnis aussprechen hören. Wir sehen dies bei den ersten allgemeinen Grundprincipien. (Arist. I. post c. 2.) Denn wenn ich z. B. weiß, was das Ganze ist und was der Teil, so erkenne ich mit Notwendigkeit, daß das Ganze größer ist als einer seiner Teile. Sobald ich aber das Wort „Gott“ aufgefaßt habe, ist es auch sogleich gewiß, daß Gott Dasein hat. Denn mit der Auffassung des Wortes „Gott“ ist notwendig verbunden, daß ich auffasse das Größte und Gewaltigste, was gedacht und bezeichnet werden kann; größer und gewaltiger aber ist offenbar, was Dasein hat sowohl in der Auffassung aIs auch in subjektiver Thatsächlichleit, wie jenes, was nur in der Auffassung, also nur in der Vernunft existiert. Also folgt, daß, menn ich einmal das bloße Wort „Gott“ mit Verständnis habe ausspiechen hören, daraus notwendig hervorgeht die Kenntnis vom Dasein Gottes. III. Zu demselben Ergebnisse gelangt die rein vernünftige Erwägung noch auf einem anderen Wege. Daß eine Wahrheit bestehe, ist rein aus sich heraus, unabhängig von allem anderen, somit also mit Notwendigkeit erkannt. Denn wer dies leugnen wollte, giebt zu, daß keine Wahrheit vorhanden sei. Besteht aber keine Wahrheit, so ist es trotzdem wahr, das nichts wahr ist. Ist aber etwas wahr, so muß jedenfalls eine Wahrheit bestehen. Gott aber ist die Wahrheit selber, schließt also alle Wahrheit in sich ein; sagt Er doch bei Johannes (14, 6.): „Ich bin die Wahrheit.“ Also ist es ohne weiteres und aus sich heraus erkannt, daß Gott wirkliches Dasein habe. Auf der anderen Seite aber sagt der Psalmist (52.): „Der Thor sagt in seinem Herzen: Es ist kein Gott.“ Also ist es möglich, daß jemand das Dasein Gottes leugnet. Die Leugnung des Daseins Gottes aber wäre eine Unmöglichkeit; wenn dasselbe mit Notwendigkeit erkannt werden müßte. Denn niemand kann das Gegenteil von dem denken, was aus sich heraus evident ist; gleichwie niemand denken kann: „Der Teil ist größer als das Ganze, dessen Teil er ist.“ Das Dasein Gottes muß also zuvörderst bewiesen werden.
b) Ich antworte, daß auf doppelte Weise etwas aus sich heraus evident ist, also in sich selber das Licht besitzt, um erkannt zu werden: Einmal ist in dieser Weise etwas evident an sich allein betrachtet, nicht aber für uns; dann ist etwas evident an sich allein betrachtet, und auch mit Rücksicht auf uns. Aus dem Grunde nämlich ist ein Satz aus sich selbst klar, daß das Prädikat im Wesen, also in der Begriffsbestimmung des Subjekts enthalten ist, wie z. B.: der Mensch ist ein sinnbegabtes Wesen; denn das „sinnbegabt“ ist in der Begriffsbestimmung „Mensch“ enthalten. Ist also allen bekannt, was seiner Natur nach das Subjekt sei und was das Prädikat, so ist ein solcher Satz mit absoluter Evidenz für alle klar. Das trifft z. B. bei den ersten Principien der Beweisführung zu. Denn da sind Subjekt und Prädikat Worte, welche jeder versteht, wie etwa Sein und Nichtsein beim Widerspruchsprincip, oder das Ganze und der Teil und in ähnlichen Fällen. Ist aber einigen nicht bekannt, was dem Wesen und der inneren Natur gemäß das Subjekt und das Prädikat sei, so wird der entsprechende Satz wohl an sich evident sein, nicht aber für jene, welchen das Wesen des Subjekts und des Prädikats unbekannt ist. Und so kommt es vor, wie Boëtius sagt (de hebdom.), „daß es so manche Auffassungen und Begriffe giebt, die an und für sich, aus sich heraus evident seien nur bei den Weisen, wie z. B. daß das Stofflose nicht im Raume sich befinde.“ So sage ich also, dieser Satz, „Gott ist,“ trägt, soweit es auf ihn allein ankommt, seine Evidenz in sich, ist aus eigenem Lichte klar. Denn Gott ist ja, wie später gezeigt werden wird, seine eigene Wirklichkeit, seine eigene Existenz; das Prädikat ist also ein und dasselbe wie das Subjekt. Wir aber wissen nicht, was Gott seiner Natur nach sei; also ist der Satz, „Gott ist,“ mit Rücksicht auf uns nicht aus sich heraus klar. Vielmehr muß er für uns bewiesen werden durch das, was wohl für uns, wenn auch nicht an sich in seinem Wesen lichtvoller ist: nämlich durch die Geschöpfe,
c) Danach erledigen sich die oben angeführten Gegengründe. I. Die Kenntnis, daß Gott sei, ist allerdings von Natur und mit Naturnotwendigkeit in uns und quillt demgemäß unabhängig von den Kreaturen aus unserem Innern; aber nur insoweit ganz im allgemeinen Gott unsere Seligkeit ist. Denn von Natur verlangt der Mensch nach seinem eigenen Wohle; und wonach er von Natur, also notwendig verlangt, das muß er von Natur, also notwendig kennen. Das besagt aber durchaus nicht, daß ich nun ohne weiteres erkenne, wie ein in thatsächlicher Bestimmtheit existierender Gott bestehe; gleichwie wenn ich sehe, daß ein Mensch mir entgegenkommt, dies noch nicht gleichbedeutend damit ist, daß ich in diesem Menschen von vornherein den Petrus erkenne; obgleich es wirklich der Petrus ist. Alle Menschen verlangen wohl nach ihrem eigenen Glücke; aber das schließt nicht aus, daß für die einen dieses Glück die bestimmte Gestalt des Reichtums annimmt, für die anderen, die der sinnlichen Lust, für die dritten wieder eine andere. Danach jedoch gerade wird hier gefragt, ob die Kenntnis der Existenz jenes ganz in sich bestimmten Gottes, der alles Sein und alles Gut in seinem Einzelbestande einschließt, eine von vornherein notwendige sei; und nicht, ob ein allgemeines, in sich unbestimmtes, nebelhaftes Wesen existiere, was man etwa Gott nennen wolle. II. Ganz dasselbe könnte als Antwort dienen auf den zweiten Einwurf. Denn manche haben gemeint, Gott sei ein Körper. Sie verstanden also unter dem Ausdrucke, „daß es etwas Größeres und Gewaltigeres nicht gäbe,“ keineswegs ein bestimmtes Sein, welches an Macht und Gewalt alles Sichtbare und Unsichtbare überrage, sondern sie verbanden mit dem Worte „Gott“ nur einen vagen Begriff. Aber selbst zugegeben, daß jeder mit diesem Namen wirklich und in aller Bestimmtheit den Begriff des möglichst Gewaltigen verbinde, so folgt daraus doch nur, daß er einen solchen Begriff sich gebildet habe; nicht aber, daß das dadurch Bezeichnete, also Gott, in der thatsächlichen subjektiven Wirklichkeit vorhanden sei; gleichwie daraus, daß ich den Begriff „goldene Berge“ habe, nicht folgt, daß solche in Wirklichkeit bestehen. Nur also unter der Voraussetzung, daß ein denkbar Größtes in der Wirklichkeit existiere, würde folgen, daß Gott in dieser Wirklichkeit auch das Dasein einschließe. Aber diese Voraussetzung geben jene nicht zu, welche das Dasein Gottes leugnen. III. Die Antwort auf den dritten Einwurf ist genau dieselbe, wie auf den ersten. Es wird nicht geleugnet, daß die Kenntnis davon, es gäbe im allgemeinen eine Wahrheit, eine notwendige sei; die Kenntnis aber der Existenz einer ganz bestimmten Wahrheit, nämlich der ersten, ist keine von vornherein ohne weiteres notwendige.
