48.
Wenn nun auch der Jude sich wegen Ezechiel und Jesaja nicht wird verteidigen können, da wir die Erzählung von der Öffnung der Himmel bei Jesus und von der von ihm gehörten Stimme1 einer Vergleichung unterziehen und Ähnliches im Ezechiel und im Jesaja2 oder auch in einem anderen Propheten aufgezeichnet finden, so werden wir wenigstens unsere Sache nach besten Kräften vertreten. Wir sagen deshalb: Alle, die an eine Vorsehung glauben, sind offenbar der Ansicht, dass viele im Traume Gesichte gehabt haben, die sich S. 64 bald auf göttliche Dinge bezogen, bald künftige Lebensverhältnisse teils klar und deutlich, teils dunkel und rätselhaft verkündeten. Wie soll es dann undenkbar sein, dass die nämliche Kraft, die die Seele im Traume beeinflußt, ihr auch im Zustande des Wachens durch Gesichte Dinge mitteilen könne, deren Kenntnis für den Empfänger selbst oder für die Leute, welche später von ihm davon hören, nützlich ist? Und wie wir im Traum uns einbilden, dass wir hören, dass wir eine Einwirkung auf unsern Gehörsinn erfahren, und dass wir mit unseren Augen sehen, obwohl doch weder unsere leiblichen Augen noch Ohren in Tätigkeit versetzt sind, und solches nur in unserer Seele vorgeht; so ist es gar nicht undenkbar, dass Derartiges auch bei den Propheten stattgefunden habe, wenn geschrieben steht, dass sie einige wunderbare Gesichte gehabt, oder Worte des Herrn gehört, oder den Himmel offen gesehen hätten. Ich nehme ja nicht an, dass der sichtbare Himmel sich wirklich geöffnet, und sein Körper bei der Öffnung sich geteilt habe, damit Ezechiel solche Dinge berichten könnte. Muß nun aber nicht auch bei dem Heiland ein verständiger Leser der Evangelien das gleiche annehmen, wenn auch die einfacheren Christen, die in ihrer großen Einfalt die Welt sich in Bewegung setzen und den so großen, fest zusammengefügten Körper des ganzen Himmels sich spalten lassen, daran Anstoß nehmen sollten?
Wer aber tiefer in solche Untersuchungen eindringt, wird sagen: Es gibt, wie die Schrift sich ausdrückt, eine gewisse generelle „göttliche Erkenntnis“, die nur der Selige „zu finden“ weiß. wie es auch bei Salomo heißt: „Du wirst göttliche Erkenntnis finden.“3 Von dieser Erkenntnis aber gibt es verschiedene Arten: ein Sehen, welches Dinge zu schauen vermag, die höher stehen als die körperlichen Wesen, wie das bei den Cherubim oder Seraphim offenbar der Fall ist; ein Gehör, das fähig ist, Stimmen zu vernehmen, die ihr Dasein nicht in der Luft haben; einen Geschmackssinn, der „lebendiges Brot kostet, das vom Himmel herabgestiegen ist und S. 65 der Welt das Leben gibt“4; ebenso einen Geruchssinn, der solche Dinge wahrnimmt, um derentwillen Paulus von sich sagt, dass „er für Gott ein Wohlgeruch Christi sei“5; und ein Gefühl, wie es Johannes hatte, welcher sagt, dass „er das Wort des Lebens mit seinen Händen betastet habe“6. Die seligen Propheten haben diese „göttliche Erkenntnis“ gefunden; es war demnach ihr Sehen und Hören und Schmecken göttlicher Art, sie rochen sozusagen mit einem nicht wirklichen Sinne, sie ergriffen mittelst des Glaubens das Wort so, dass dessen Fülle sich über sie ergoß, um ihnen Heilung zu bringen. So sahen sie die Dinge, die sie nach ihrer Aufzeichnung gesehen haben, so hörten sie die Worte, von denen sie mitteilen, dass sie diese vernommen; und so war es bei ihnen mit den andern ähnlichen Dingen, die sie berichten, der Fall, zum Beispiel mit dem „Essen einer dargereichten Schiftrolle“7. Auf diese Weise „roch auch Isaak den Geruch“, der von seines Sohnes göttlichen „Kleidern“ ausging, und erteilte ihm geistlichen Segen mit den Worten: „Siehe, der Geruch meines Sohnes ist wie der Geruch eines vollen Feldes, das der Herr gesegnet hat“8. Auf ähnliche Art, in einer mehr geistigen als sinnlichen Weise, „berührte“ Jesus den Aussätzigen9, um ihn in doppelter Hinsicht, wie ich glaube, rein zu machen, nämlich so, dass er ihn nicht nur, wie die meisten die Stelle verstehen, von körperlichem Aussatze durch körperliche Berührung befreite, sondern auch von dem anderen Aussatze (dem der Seele) durch seine wahrhaft göttliche Berührung erlöste.
In diesem Sinne nun „bezeugte Johannes: Ich habe den Geist geschaut herabfahrend wie eine Taube vom Himmel, und er blieb auf ihm. Und ich kannte ihn nicht; aber der mich gesandt hat, mit Wasser zu taufen, der sprach zu mir: Auf welchen du den Heiligen Geist S. 66 herabfahren und auf ihm bleiben sehen wirst, dieser ist es, der mit heiligem Geiste tauft. Und ich habe es gesehen und bezeugt, dass dieser der Sohn Gottes ist“10. Für Jesus öffneten sich die Himmel; und damals hat, wie geschrieben steht11, außer Johannes keiner die Himmel geöffnet gesehen. Der Heiland aber sagt seinen Jüngern voraus, dass auch sie dereinst die Himmel offen sehen würden, indem er spricht: „Wahrlich, wahrlich, ich sage euch, ihr werdet den Himmel offen und die Engel Gottes hinauf- und herabsteigen sehen auf den Sohn des Menschen“12. Und so wurde Paulus, weil er ein Jünger Jesu war, „in den dritten Himmel entrückt“13, nachdem er ihn vorher offen gesehen hatte, Warum aber Paulus sagt: „Ob (es geschah) im Leibe, ich weiß es nicht, ob außer dem Leibe, ich weiß es nicht, Gott weiß es“14, dies jetzt zu erklären gehört nicht zu der vorliegenden Aufgabe.
Ferner will ich meiner Erörterung auch dies noch beifügen, dass Celsus meint, Jesus selbst habe erzählt, wie die Himmel sich öffneten und der Heilige Geist „in Gestalt einer Taube“ auf ihn beim Jordan herabkam, während die Schrift davon nichts erwähnt, dass er selbst gesagt habe, er hätte dies gesehen. Der gute Mann merkt nicht, dass der, welcher seinen Jüngern bei der Erscheinung auf dem Berge das Gebot gegeben hat: „Saget dieses Gesicht niemanden, bis der Sohn des Menschen von den Toten auferstanden ist“15, nicht wohl seinen Jüngern das beim Jordan von Johannes Gesehene und Gehörte mitgeteilt haben kann. Man darf aber auch auf den Charakter Jesu hinblicken, der überall vermied, von sich selbst zu reden, und deshalb sagt: „Wenn ich von mir selbst zeuge, so ist mein Zeugnis nicht wahr“16. Und da er es vermied, von sich S. 67 selbst zu reden, und mehr durch seine Werke als durch seine Worte kund tun wollte, dass er der Messias sei, deshalb sagen die Juden zu ihm: „Wenn du der Christus bist, so sag es uns frei heraus!“17 Da es aber ein Jude ist, der bei Celsus zu Jesus über die Herabkunft des Heiligen Geistes „in Gestalt einer Taube“ bemerkt: „Außer dass du es sagst und noch einen einzigen von denen herbeibringst, die mit dir zugleich bestraft worden sind“ so müssen wir unsern Gegner darauf hinweisen, dass er auch diese Worte ganz ungeschickt seiner jüdischen Person in den Mund gelegt hat. Denn die Juden stellen den Johannes gar nicht mit Jesus zusammen und auch nicht „die Bestrafung“ des Johannes mit „der Bestrafung“ Jesu. Und so zeigt es sich hier, dass Celsus, der von sich prahlt, dass er „alles wisse“, nicht gewußt hat, welche Worte er der Person des Juden Jesus gegenüber beilegen sollte.
Vgl. Mt 3,16.17 (Mk 1,10.11; Lk 3,21.22). ↩
Vgl. Ez 1,1.28; 2,1; Jes 6,1.2. ↩
Spr 2,5. ↩
Vgl. Joh 6,33 und unten VII 34. ↩
Vgl. 2 Kor 2,15. ↩
Vgl. 1 Joh 1,1. ↩
Vgl. Ez 2,9-3,3. ↩
Gen 27,27. ↩
Vgl. Mt 8,3; Mk 1,41; Lk 5,13. ↩
Joh 1,32-34. ↩
Vgl. Mt 3,16 (Mk 1,10; Lk 3,21). ↩
Joh 1,51. ↩
Vgl. 2 Kor 12,2. ↩
2 Kor 12,2. ↩
Mt 17,9. ↩
Joh 5,31. ↩
Joh 10,24. ↩
