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Im Anschluss hieran richtet der Jude bei Celsus an Jesus die Frage: "Warum mußtest du auch noch als kleines Kind nach Ägypten gebracht werden, damit du nicht getötet würdest? Ein Gott durfte doch wegen des Todes billigerweise keine Furcht haben. Aber ein Engel kam vom Himmel und gebot dir und den Deinen, zu fliehen, damit ihr nicht, im Stich gelassen, sterben müßtet. Konnte aber der große Gott, der doch deinetwegen bereits zwei Engel gesendet hatte1, den eigenen Sohn nicht an Ort und Stelle schützen?" Nach diesen Worten glaubt Celsus, dass in dem menschlichen Leib und in der Seele Jesu nicht etwas Göttliches gewesen sei, sondern dass auch sein Leib Eigenschaften besessen habe, wie sie die Gedichte Homers kennen. Wenigstens S. 93 sagt er spottend von dem am Kreuze vergossenen "Blute Jesu": "Es war nicht Ichor, wie er ja fließt in den Adern der seligen Götter."2 Wir aber glauben dem, was Jesus selbst bezeugt, wenn er über die in ihm wohnende Göttlichkeit sagt: "Ich bin der Weg und die Wahrheit und das Leben"3, und wenn er eine dieser ähnliche Äußerung gibt, wir glauben ihm auch, wenn er darüber, dass er in einem menschlichen Körper war, sich so ausspricht: "Nun aber suchet ihr mich zu töten, einen Menschen, der ich euch die Wahrheit gesagt habe"4. Er ist also nach unserer Lehre ein zusammengesetztes Wesen. Da er aber für einen Eintritt in die Welt sorgen mußte, um hier wie ein Mensch zu leben, so durfte er sich nicht vor der Zeit der Todesgefahr preisgeben. So mußte er sich auch der Leitung seiner Erzieher überlassen, die der Weisung eines göttlichen Engels folgten. Zuerst nämlich gab der Bote den Auftrag: "Joseph, Sohn Davids, scheue dich nicht, Maria, dein Weib zu dir zu nehmen; denn was in ihr gezeugt worden ist, das ist vom Heiligen Geiste"5, und dann den andern: "Stehe auf, nimm das Kind und seine Mutter und fliehe nach Ägypten und weile dort, bis ich dir's sage; denn Herodes schickt sich an, das Kind zu suchen, um es zu verderben."6
Hier scheint mir der Bericht gar nicht sehr wunderbar zu sein. Denn nach beiden Stellen der Schrift soll der Engel dem Joseph dies im Traume gesagt haben. Aber auch bei zahlreichen anderen Leuten trifft es zu, dass ihnen im Traume angezeigt wird, dies <oder jenes7> zu tun, sei es nun, dass ein Engel oder dass irgendein anderes Wesen in ihrer Seele den Gedanken hervorruft. Ist es also befremdlich, dass der einmal Mensch Gewordene auch nach menschlicher Erziehung angewiesen wird, Gefahren zu S. 94 vermeiden? Nicht etwa, weil solches8 auf andere Art unmöglich gewesen wäre, sondern weil das, was nach Art und Ordnung für die Rettung Jesu möglich war, eingerichtet werden mußte, Und es war in der Tat besser, dass das Kind Jesus der Nachstellung des Herodes auswich und mit seinen Eltern "nach Ägypten floh und daselbst "bis zum Tode" seines Widersachers9 verweilte, als dass entweder die über Jesus wachende Vorsehung den Herodes an der Ausführung seines Vorhabens, das Kind zu töten10, hinderte, oder dass Jesus mit dem von den Dichtern erwähnten "Helm des Hades"11 oder einem ähnlichen Gegenstand ausgerüstet wurde, oder dass die Leute, welche zu seiner Ermordung ausgeschickt waren, in ähnlicher Weise (mit Blindheit) geschlagen wurden wie die Einwohner von Sodom12. Ein so außerordentliches und weithin auffallendes Eingreifen zu seinen Gunsten wäre seinem Wunsch nicht förderlich gewesen, als von Gott bezeugter Mensch zu lehren, dass er in seinem sichtbaren Menschen etwas Göttliches habe, was eben der wahre Sohn Gottes, Gott, das Wort, Gottes Kraft und Gottes Weisheit13 war, nämlich der, welcher Christus genannt wird. Doch es ist hier nicht der Ort, eine Erklärung, wie der Mensch gewordene Jesus zusammengesetzt war und woraus er bestand, zu geben; denn die Gläubigen besitzen auch eine Untersuchung zu diesem Punkte, die sozusagen ihre häusliche Angelegenheit ist.
