32. Wie Briefe vor dem Lesen verbrannt wurden.
Für nicht minder nothwendig halte ich auch die Erwähnung folgender That eines um die Reinheit seines Herzens bemühten und auf die göttliche Betrachtung eifrig bedachten Bruders. Als ihm nach fünfzehn Jahren von seinen Eltern und vielen Freunden aus der Provinz Pontus mehrere Briefe gebracht worden waren, nahm er das große Packet Briefe, besann sich eine Weile und sprach endlich: „Welche Gedanken wird mir das Lesen dieser Briefe verursachen? Entweder werden sie zu eitler Freude oder zu nutzloser Betrübniß mich hinreissen. Wie viele Tage werden sie, durch die Erinnerung an Jene, die sie geschrieben, mein Herz von der erstrebten Beschaulichkeit abziehen! Nach wie langer Zeit werde ich diese Verwirrung, die sich meines Geistes S. 125 dann bemächtigt, wieder zu regeln vermögen, welche Mühe wird die Wiederherstellung dieses ruhigen Zustandes erfordern, wenn ich einmal durch die Gemüthsbewegung, welche das Lesen der Briefe in mir hervorgerufen, aufgeregt bin, wenn ich die Reden und Mienen Derer an meinem Geiste vorüberziehen lasse, die ich so lange verlassen habe, und dadurch anfange, sie im Geiste zu besuchen, bei ihnen zu weilen! Sie dem Leibe nach verlassen zu haben, wird in der That Nichts nützen, wenn ich sie im Geiste anzublicken beginne und die Erinnerungen, die jeder Ordensmann wie ein Todter aufgegeben hat, wieder aufleben und in meinem Herzen Platz greifen lasse.“ Nachdem er Dieß erwogen, faßte er den Entschluß, nicht nur keinen Brief zu öffnen, sondern nicht einmal das Päckchen zu erschließen, damit er nicht die Namen Derer, die sie geschrieben, durchzugehen oder ihres Aussehens sich zu erinnern genöthigt sei, was ihn von der himmlischen Richtung seines Geistes abziehen würde. Gebunden, wie er es empfangen hatte, gab er daher das Päckchen dem Feuer zum Verbrennen hin mit den Worten: „Fort mit euch, ihr Gedanken an die Heimath, verbrennet ebenso, damit ihr fernerhin nicht versuchet, mich dahin zurückzurufen, von wo ich geflohen bin.“
