39. Durch welchen Vorwand ein Greis dem Bruder Simeon, als er Nichts zu thun wußte, Handarbeit verschaffte.
Als ein mir sehr theurer Bruder, Namens Simeon, der griechischen Sprache ganz unkundig, aus Italien gekommen war, wollte ein Vorsteher an ihm, als einem Fremden, ein Liebeswerk gegen irgend eine scheinbare Wiedervergeltung üben, fragte ihn daher, warum er müßig in seiner Zelle sitze, und machte ihm klar, daß er sowohl wegen seines müßigen Herumschweifens als wegen Mangels am Nothwendigen nicht länger in derselben verweilen könne. Denn er sei der festen Ueberzeugung, daß nur Derjenige die Anfechtungen der Einsamkeit aushalten könne, der sich herbeiläßt, seinen Lebensunterhalt mit eigenen Händen zu erwerben. Jener antwortete, er wisse Nichts und verstehe keine von den bei den Brüdern üblichen Arbeiten ausser dem Bücherabschreiben. Wenn daher in Aegypten Jemand einen lateinischen Kodex S. 131 nöthig haben sollte, dachte der Vorsteher, dann habe er eine Gelegenheit gefunden, das von ihm gewünschte Liebeswerk (nämlich der Aufnahme und Verpflegung des Bruders Simeon) gleichsam durch eine Art scheinbare Wiedervergeltung zu erkaufen. Durch Gottes Fügung, sagte er hierauf, ist diese Gelegenheit gefunden. Denn ich suchte Jemanden, der mir den Apostel (Paulus) in lateinischer Sprache abschreiben könnte. Ich habe nämlich einen in die Schlingen des Kriegsdienstes verwickelten und des Lateinischen vorzüglich mächtigen Bruder, dem ich Etwas aus der heiligen Schrift zum Lesen und zu seiner Erbauung überschicken möchte. So nahm Simeon diese Gelegenheit, wie von Gott ihm geboten, dankbar an; aber auch der Greis ging auf diesen Vorschlag, unter dessen Vorwand er ein Liebeswerk ungehindert ausüben konnte, noch lieber ein und reichte ihm nicht nur Alles, was er das ganze Jahr hindurch bedurfte, als Lohn für seine Arbeit, sondern brachte ihm auch Pergament und sonstige Schreibmaterialien und empfing zuletzt den Kodex. Dieser war jedoch bei der gänzlichen Unkenntniß des Lateinischen in Ägypten zu keinem anderen Zwecke geschrieben und sollte keinen anderen Nutzen haben, als daß er durch diesen feinen Kunstgriff und mit größeren Kosten angekauft wurde. Ausserdem erhielt Simeon, ohne sich schämen zu müssen, für das Verdienst seiner Mühe und Arbeit seinen nothwendigen Lebensunterhalt, und der Vorsteher konnte seine liebevolle Freigebigkeit, wie zur Abtragung einer Schuld, bethätigen. Dabei nahm er einen um so reicheren Lohn für sich in Anspruch, in je größerem Umfange er dem fremden Bruder nicht nur den nothwendigen Lebensunterhalt, sondern auch die Werkzeuge sowie die Gelegenheit zur Arbeit verschafft hatte.
