35. Strafrede des Abtes Theodor, die er um Mitternacht in meiner Zelle hielt.
S. 127 Unversehens kam einst um Mitternacht ebenfalls der Abt Theodor an meine Zelle, erkundigte sich heimlich mit väterlicher Besorgniß, was ich noch unerfahrener Einsiedler mache, und als er fand, daß ich sofort nach dem feierlichen Nachtgebete den müden Leib schon zur Ruhe gebracht und auf der Decke dalag, stieß er aus dem Grunde seines Herzens Seufzer aus, und mich beim Namen nennend sprach er: „Johannes, wie Viele reden zu dieser Stunde mit Gott und umfangen und behalten ihn in ihrem Herzen, und du läßt dich um diese Erleuchtung betrügen, vom trägen Schlafe dahin gestreckt!“
Weil ich nun einmal, durch die Tugenden und Gnadengaben der Väter veranlaßt, zu solchen Erzählungen abgeschweift bin, so halte ich es für nothwendig, das merkwürdige Liebeswerk, das ich von Seiten des vortrefflichen Archebius an mir erfahren habe, in diesem Buche zu empfehlen, damit die Reinheit der Enthaltsamkeit mit der Uebung der Liebe verbunden und durch schöne Mannigfaltigkeit ausgezeichnet um so heller erglänze. Denn nur dann wird das Fasten ein Gott wohlgefälliges Geschenk, wenn es durch die Früchte der Liebe seine Vollendung erhalten hat.
