Zweiter Artikel. Der Urstoff ist von Gott geschaffen.
a) Dagegen spricht: I. Alles, was wird, ist zusammengesetzt aus einem Subjekt als demTräger des Seins und aus etwas Anderem. Der Urstoff aber keinSubjekt oder etwas, was ihn trägt. Also wird er nicht; er ist nicht geschaffen; ist ewig. II. Geben und Empfangen, Wirken und Leiden, Bestimmen und Bestimmbarsein entsprechen sich. Nun ist das erste wirkende Princip Gott.Also ist das erste leidende Princip der Urstoff; und keiner von beiden istvom anderen. III. Alles, was wirkt, macht sich seine Wirkung ähnlich. Nun ist aberalles Wirkende, insoweit es wirkt, thatsächlich; also muß auch das Gewirkteeinigermaßen thatsächlich sein. Der Urstoff ist aber an sich rein Vermögenzu empfangen; er hat in nichts thatsächliches Sein. Also ist er nicht gemacht. IV. Auf der anderen Seite heißt es bei Augustin (12. Conf. c. 7.): „Ein zweifaches hast Du gemacht, o Herr; das eine nahe bei Dir,“ nämlich den Engel; „das andere nahe beim Nichts,“ nämlich den Urstoff.
b) Ich antworte, daß die alten Philosophen nach und nach zur Kenntnisder Wahrheit kamen. Im Anfange, als sie begannen, sich Rechenschaft zugeben von den Ursachen, durch welche die Welt geleitet wird, nahmen siean, es gäbe nur sichtbare Dinge; denn sie verfolgten nur die Materialursachein den Dingen. Jene unter ihnen nun, die eine wirkliche Bewegung imStoffe voraussetzten, erstreckten diese Bewegung einzig und allein auf einzelnezufällige Eigenschaften, so daß sie meinten, die Bewegung sei darin zu finden,daß die Körper sich ausdehnten und sich zusammenzögen, dichter oder dünnerwürden. Sie setzten die Substanz der Körper selbst als unerschaffen vorausund ersannen einzelne Ursachen allein gemäß äußerlichen Veränderungen.Solcher Ursachen waren: die Freundschaft, der Streit, die Vernunft etc. Weiter fortschreitend aber unterschieden sie kraft der Vernunft zwischen der substantialen Wesensform und dem Stoffe, den sie als ungeschaffen bezeichneten. Sie nahmen an, die Körper veränderten sich auch dem Wesen nach und für diese Veränderungen gemäß den substantialen Formen erfanden sie allgemeinere Ursachen; wie Aristoteles die Himmelsbewegungen, Plato die allgemeinen Gattungsideen. Es ist jedoch zu berücksichtigen, wie der Stoff vermittelst der substantialen Wesensform zu einer bestimmten Seinsweise dem Wesen nach gezogen wird; und wie eine Substanz, welche schon dem Wesen nach Einzelbestand hat, durch hinzutretende Eigenschaften zu einer gewissen Seinsweise nur nach einer bestimmten Seite hin gezogen wird; — so z. B. wird der Mensch durch die weiße Farbe ein weißer Mensch und ist nach dieser Seite hin nicht mehr unbestimmt. Beide also berücksichtigten das Sein unter einem bestimmten, beschränkten Gesichtspunkte, insofern es bereits dieses Sein dem Wesen nach ist und nicht jenes; als ob somit der Urftoff schon einen gewissen Bestand dem Wesen nach hätte, ehe die Form ihm zukommt und er dann durch die Form bloß weiter bestimmt würde wie der Mensch durch die weiße Farbe; — und sie bezeichneten somit nur solche Ursachen für die Dinge, welche selber an sich beschränkt waren. Höher aber richteten sich andere auf und berücksichtigten das Sein als Sein an sich, insofern es nur Sein ist und nicht dieses oder jenes bestimmte Sein. So betrachteten sie die Ursache der Dinge nicht nur insoweit dieselben diese oder jene sind, sondern insoweit sie überhaupt sind. Jenes Sein also, was Ursache der Dinge ist, insoweit sie überhaupt Sein haben, darf nicht allein ihre Ursache sein, insoweit sie diese oder jene Dinge sind kraft zufälliger Formen und Eigenschaften; und auch nicht einzig und allein insoweit sie diese bestimmten Dinge sind kraft ihrer substantialen Wesensformen; sondern auch gemäß allem, was wie auch immer zu ihrem Sein gehört. Und demgemäß muß der Urstoff von Gott geschaffen sein; denn er gehört zum Sein der Dinge.
c) I. Aristoteles spricht vom beschränkten Werden, insofern aus einem besonderen Dinge ein anderes besonderes wird; z. B. aus dem Samen die Pflanze oder aus einem tugendhaften Menschen ein böser. Hier aber sprechen wir vom allgemeinen Ausgehen der Dinge aus dem allumfassenden Seinsprincip. Und von diesem Ausgehen der Dinge darf der Urstoff nicht ausgeschlossen werden, denn er ist ebenfalls; wohl aber von der (ersten) Art des beschränkten Werdens. II. Daß etwas bestimmbar ist oder leiden kann, ist eine Wirkung derThätigkeit. Also ist es der Vernunft durchaus angemessen, daß das erstePrincip des Leidens oder der Bestimmbarkeit vom ersten wirkenden Principhervorgebracht ist; denn alles Unvollendete wird verursacht vom Vollendeten.Demnach muß das erste Princip im höchsten Grade vollendet sein. III. Jener Einwurf zeigt nicht, daß der Urstoff nicht geschaffen sei,sondern nur, daß er nicht ohne thatsächliche Form geschaffen worden ist.Denn obwohl jegliches, was geschaffen worden, thatsächliches Sein hat, sofolgt daraus nicht, daß es reine Thatsächlichkeit ist. Also muß auch das,was von seiten des Stoffes, nämlich des Vermögens zu empfangen, vorhanden ist, geschaffen sein; wenn alles, was zum Sein des Dinges gehört,geschaffen ist.
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