Dritter Artikel. Gott ist die erste Exemplarursache der Dinge.
a) Dagegen spricht: I. Das, was nach einem Exemplar gemacht wird, ist letzterem ähnlich.Die Dinge aber sind weit entfernt, Gott ähnlich zu sein. II. Alles, was nur kraft der Teilnahme an etwas Anderem Seinhat, läßt sich zurückführen auf etwas, was dem Wesen nach, also notwendigdieses Sein ist; wie das Glühende im Eisen auf das Feuer. Was immer auchhier in der sichtbaren Welt aber Einzelbestand hat, das ist nur dadurch, daßes teilnimmt am Sein einer Gattung; — und das ist darin besonders angezeigt, daß in keinem der sichtbaren Dinge nur das sich findet, was zumWesen der Gattung gehört, sondern vieles Andere, was seinen Einzelbestandbegleitet und was somit von der Gattung getragen wird. Also muß manannehmen, daß die Gattungsideen für sich existieren; daß also eine Ideebesteht, die wesentlich nur Mensch, nur Pferd ist und daß die einzelnenMenschen, Pferde etc. so genannt werden kraft der Teilnahme an diesen Ideenund an der Verursachung, die von diesen Ideen ausgeht. Dies können nurdie Exemplarideen sein; die also außer Gott sich finden. III. Wissenschaften und Definitionen beschäftigen sich mit diesen Gattungsideen; nicht aber soweit sie in den einzelnen stofflichen Dingen sind, denn dasEinzelne ist als solches nicht Gegenstand der Wissenschaft, nicht definierbar.Also müssen einige Seinsarten bestehen, welche Gattungen sind, ohne daßsie im einzelnen Stoffe sich vorfänden und diese sind die Exemplarideen. IV. Dionysius (5. de div. nom.) sagt: „Das, was als Sein für sichbesteht, ist früher wie das, was als Leben, als Weisheit für sich besteht.“Also giebt es ein für sich bestehendes Leben, eine für sich bestehende Weisheit etc. außerhalb Gottes, des für sich bestehenden Seins. Auf der anderen Seite ist Exemplar dasselbe wie Idee. Die Ideen aber sind nach Augustin (83. Qq. 46.) leitende Formen, welche in der göttlichen Vernunft enthalten sind.
b) Ich antworte, daß Gott die erste leitende Exemplaridee aller Dinge ist. Denn um ein Ding hervorzubringen ist ein Exemplar notwendig, nach dessen Form die Wirkung wird. Der Künstler nämlich bringt im Stoffe eine bestimmte Form und Figur hervor auf Grund des Exemplars, der Musterform, auf die er blickt, mag diese in ihm selbst sein oder außen. Es ist nun offenbar, daß die Dinge in der Natur nach einer bestimmten Form gemacht sind und danach wirken. Die Bestimmung dieser Formen aber muß notwendig als auf das erste Princip auf die göttliche Weisheit zurückgeführt werden, welche die Ordnung des All erdacht hat; zumal diese Ordnung eben nur im Unterschiede des einen vom anderen besteht. Und deshalb muß gesagt werden, daß in der göttlichen Weisheit die leitenden Ideen aller Dinge sind und diese nennen wir Exemplarideen. Dieselben sind zwar vielfache gemäß der Beziehung zu den Dingen; dem wirklichen Sein nach aber sind sie ein und dasselbe wie das göttliche Wesen, insoweit dasselbe, respektive dessen Vollkommenheiten, in verschiedentlicher Weise von den Kreaturen nachgeahmt werden können. So also ist Gott die erste Exemplaridee von allem. In den geschaffenen Dingen kann das eine jedoch das Muster oder Exemplar vom anderen genannt werden, insoweit es die Ähnlichkeit desselben entweder nach der Gattung oder in einem gewissen Verhältnisse in sich enthält.
c) I. Die Kreaturen sind wohl Gott nicht insoweit ähnlich, als sie in derselben Seinsgattung wären; wie unter den Menschen der Sohn dem Vater ähnlich ist. Sie sind jedoch Gott ähnlich gemäß der ihrem Sein entsprechenden leitenden Idee in Gott, welche von Gott verstanden wird; wie das Haus im sichtbaren Stoffe ähnlich ist der Kunstidee im Baumeister. II. Zur Natur des Menschen grade gehört es, daß er im Stoffe ist;und so kann es keinen Menschen geben, der seiner Natur nach stofflos wäre.Obgleich also der einzelne Mensch an der Gattungsidee „Mensch“ Anteilhat, so läßt er sich doch nicht zurückführen auf etwas, das für sich notwendigMensch, Mensch nämlich im allgemeinen, wäre innerhalb derselben Gattung.Vielmehr wird der einzelne Mensch zurückgeführt auf eine über alles Menschliche und über die Gattung selbst erhabene Idee. Und diese ist in Gott;ähnlich wie die vom Stoffe getrennten Substanzen in den Ideen Gottesihre Ähnlichkeit haben. Dasselbe gilt von den übrigen sichtbaren Dingen. III. Die Wissenschaft oder die Definition erstreckt sich freilich nur aufdas, was Sein hat. Aber deshalb haben die Dinge nicht dieselbe Existenzweise außen in ihrem subjektiven Sein; wie in der Auffassung der Vernunft. Denn kraft unserer Vernunft lösen wir die allgemeine Gattung los von den einzelnen Existenzbedingungen. Deshalb aber ist nicht erfordert, daß diese allgemeinen Gattungen auch wirkliches Sein als solche außen haben und demgemäß die Exemplarideen sind. IV. Dionysius selber erklärt Kapitel 11 den gebrauchten Ausdruck; —indem er sagt, daß mit dem Namen „für sich bestehendes Leben“ und „fürsich bestehende Weisheit“ bisweilen Gott selbst gemeint sei, bisweilen aberdie Kräfte, welche in die Dinge hineingelegt worden sind; in keinem Falleaber für sich bestehende Dinge außer Gott, wie die Alten annahmen.
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