Zweiter Artikel. Die vernünftige Seele wird nicht kraft des Samens erzeugt.
a) Dementgegen scheint zu sein: I. Gen. 46, 26.: „Alle Seelen, die aus den Lenden Jakobs hervorgegangen sind, waren sechsundsechzig.“ Nichts aber geht hervor aus den Lenden, was nicht der Kraft des Samens geschuldet wird. II. Ein und dieselbe Seele im Menschen der Substanz nach ist vernünftig, sinnlich und Nährseele. Die Sinnesseele aber im Menschen wird kraft des Samens erzeugt, wie in anderen sinnbegabten Wesen; so daß Aristoteles sagt (2. de Gener.): „Nicht zugleich wird das Sinnbegabte und der Mensch; sondern zuerst wird das Sinnbegabte, das da eine sinnliche Seele hat.“ Also die vernünftige Seele wird durch den Samen erzeugt. III. Es ist ein und dieselbe wirkende Kraft, deren Thätigkeit sich auf den Stoff und auf die Form richtet. Sonst würde aus Stoff und Form nicht eine rechte Einheit werden. Die vernünftige Seele aber ist die Wesensform des Körpers, der auf Grund der Kraft im Samen gebildet wird. Also ist die vernünftige Seele erzeugt durch die Kraft des Samens. IV. Der Mensch zeugt etwas, was ihm der Gattung nach ähnlich ist. Die Menschgattung aber wird gebildet durch die vernünftige Seele. Also zeugt der Mensch die vernünftige Seele. V. Unzulässig ist es zu sagen, Gott wirke mit den Sündern mit. Das wäre aber der Fall, wenn Gott jede einzelne vernünftige Seele erschaffen würde. Er würde dann bisweilen mit den Ehebrechern und ähnlichen mitwirken. Auf der anderen Seite sagt der lib. de eccl. dogmat. cap. 14.: „Die vernünftigen Seelen werden nicht durch das Zusammenleben gesäet.“
b) Ich antworte, unmöglich könne der Stoff dahin reichen, daß er eine stofflose Wirkung hervorbringe. Das Princip der vernünftigen Thätigkeit aber überragt durchaus den Stoff; es besitzt eine Thätigkeit, in der es mit dem Stoffe nichts gemeinsam hat. Und somit ist es ganz unmöglich, daß die Kraft des Samens eine vernünftige Seele hervorbringe. Ähnlich wirkt die Kraft im Samen vermittelst der Kraft der zeugenden Seele, insofern die Seele des Zeugenden die Thätigkeit des Körpers ist und sich des Körpers in ihrem Thätigsein als eines Werkzeuges bedient. Im Wirken der Vernunft aber hat, soweit es die innere Natur desselben angeht, der Körper keinen Anteil. Deshalb sagt auch Aristoteles (l. c.): „Die Vernunft kann nur von außen kommen.“ Endlich ist die vernünftige Seele, weil sie eine eigene Thätigkeit hat, etwas Für-sich.bestehendes, hat selbständiges Sein. Also kommt ihr auch ein selbständiges Werden zu; und nicht ein Werden aus und zugleich mit dem Stoffe. Da sie sonach eine stofflose Substanz ist, so kann sie nur entstehen durch Erschaffen von seiten Gottes und nicht durch Erzeugen. Annehmen also, die vernünftige Seele sei vom Erzeugenden verursacht, heißt nichts Anderes als annehmen, sie sei nicht eine für sich bestehende; und folgerichtig, sie vergehe zugleich mit dem Körper. Und deshalb ist es häretisch zu sagen, die vernünftige Seele werde übergeführt mit dem Samen.
c) I. In jener Stelle wird gemäß der Figur der Synekdoche der Teil für das Ganze gesetzt; die Seele für den ganzen Menschen. II. Einige sagten, die Lebensthätigkeiten im Embryo kämen nicht von dessen Seele her, sondern von der Seele der Mutter oder von der formenden Kraft im Samen. Beides ist falsch. Denn Lebensthätigkeiten können nicht von einem außen befindlichen Princip her abgeleitet werden; wie z. B. Empfinden, Wachsen, Nahrung nehmen. Und deshalb muß man sagen, die Seele existiere im Embryo; vom Beginne an zwar eine Nährseele, später aber eine Sinnesseele, und endlich eine vernünftige. Andere also sagen, über die Nährseele hinaus, die zuerst innewohnte, köme spater hinzu die Sinnesseele; und über diese hinaus noch die vernünftige. Danach wären also drei Seelen im Menschen, von denen die eine mit Rücksicht auf die andere wie bestimmbares Vermögen sei. Das ist jedoch obcn zurückgewiesen worden Kapitel 76, Artikel 3. Demnach sagten wieder andere, ein und dieselbe Seele, welche zuerst bloß Nährseele war, werde vermittelst der Thätigkeit jener Kraft, die im Samen ist, zuerst eine sinnliche Seele; — und dann werde diese selbe Seele eine vernünftige; nicht zwar durch die thätig wirksame Kraft im Samen, sondern vielmehr durch die Kraft eines höheren Einwirkenden, nämlich Gottes, der von außen her erleuchtet. Deshalb sagt Aristoteles: „Die Vernunft kommt von außen.“ Doch das kann nicht der Fall sein: 1. weil keine substantiale Wesensform ein Mehr oder Minder annimmt; das Hinzufügen einer höheren Vollendung macht vielmehr sogleich eine andere Gattung oder ein anderes Wesen, die das Hinzufügen einer Einheit eine andere Zahlgattung, eine Zweiheit, Dreiheit u. s. w. herstellt; ein und dieselbe bestimmende Form aber der Zahl nach kann nicht zu verschiedenen Gattungen gehören; — 2. weil daraus folgen würde, die Erzeugung eines sinnbegabten Wesens sei eine beständige Bewegung, die vom Unvollendeten immer weiter ginge bis zum Vollendeten, wvie dies in dem bloßen Anderswerden ein und desselben Dinges seinem Wesen nach der Fall ist; — 3. weil ebenso folgen würde, die Erzeugung des Menschen oder des Tieres sei keine einfache bedingungslose Zeugung eines Wesens und somit eines Seins; denn ihr Träger wäre ja ein bereits thatsächlich bestehen des Sein. Denn wenn von Anfang an in der Materie der Frucht die Nährseele ist und diese selbe Seele nachher allmählich vollendet wird, so würde immer ein Hinzufügen zur Vollendung bestehen, ohne daß etwas was vorhergegangen vergeht; es würde von einer tierischen, einer menschlichen Pflanze gesprochen werden müssen; — 4. weil das, was durch das Einwirken Gottes verursacht wird, etwas Für-sich-bestehendes ist und demnach muß es wesentlich verschieden sein von der vorhergehenden Form, welche nicht für sich besteht; und so kehrt die Meinung jener zurück, die da sagen, es beständen mehrere Seelen zugleich im Körper oder die vernünftige Seele sei nichts Für-sich-bestehendes, sondern nur die höhere Vollendung einer bereits vorher bestehenden Seele; also würde auch die vernünftige Seele mit dem Körper vergehen. Die aber nur eine Vernunft in allen Menschen annehmen, sagen noch anders; jedoch diese Annahme ist bereits oben zurückgewiesen worden. Und demgemäß ist die Antwort auf den Einwurf folgende. Da die Zeugung und das Entstehen des einen Dinges immer das Vergehen des anderen ist, so muß man, sowohl was den Menschen als auch was das Tier anbetrifft sagen, daß, sobald die vollendete Form da ist, die andere vergeht. Dies geschieht jedoch so, daß diese vollendetere Form alles Jenes in sich enthält, was an Vollendung die erste in sich hatte, und dazu etwas mehr; und so gelangt man durch viele Veränderungen im Stoffe hindurch, durch vieles Entstehen und Vergehen zur letzten substantialen Wesensform sowohl im Menschen wie im Tiere. Es erscheint dieses Vorangehen in sichtbarer Weise in den Tieren, die aus Verfaultem heraus entstehen. Also wird die vernünftige Seele von Gott geschaffen am Ende der menschlichen Zeugung und diese Seele ist dann zugleich mit den Kräften der Sinne und der Pflanzenseele ausgestattet, während diese Seelen selber vergangen sind. III. Jener Einwurf hat seine Geltung in solchen einwirkenden Ursachen, welche keine Beziehung zu einander haben. Besteht jedoch eine Ordnung in diesen Ursachen, so hindert nichts, daß die Kraft der höheren leitenden Ursache die letzte vollendende Form giebt, während die Kraft der niedrigeren nur bis dahin reicht, daß sie den Stoff vorbereiten; wie z. B. die Kraft des Samens den Stoff vorbereitet und die Kraft der Seele die Wesensform giebt beim Entstehen des Tieres. Offenbar aber ist es, daß die ganze körperliche Natur wirkt als Werkzeug der geistigen und zumal Gottes. Und demgemäß steht dem nichts entgegen, daß die Bildung des Körpers von einer körperlichen Kraft ausgeht, während die vernünftige Seele von Gott allein ist. IV. Der Mensch zeugt, was ihm ähnlich ist, insofern er vermittelst der Kraft des Samens den Stoff vorbereitet, um eine solche vernünftige Wesensform aufzunehmen und zu tragen. V. In der Thätigkeit des Ehebruches ist was von der Natur kommt, etwas Gutes; und mit dem wirkt Gott mit. Was aber vom ungeregelten Willen herrührt ist ein Übel; und dazu wirkt Gott nicht mit.
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