Erster Artikel. Die Menschenseele ist geschaffen; sie ist nicht ein Bestandteil der Substanz Gottes.
a) Die Seele scheint ein Bestandteil der Substanz Gottes zu sein. Denn: I. Gen. 2, 7. heißt es: „Es formte Gott den Menschen aus Erde; und hauchte in sein Antlitz den Lebenshauch und es ward der Mensch zum lebenden Wesen.“ Der aber haucht, der teilt etwas von sich selber mit. II. Die Seele ist eine einfache Form; Form aber bedeutet Thatsächlichkeit. Die Seele also ist einfache Thatsächlichkeit; was Gott allein zueignet. Also ist die Menschenseele etwas von Gottes Substanz. III. Wenn zwei Dinge Sein haben und voneinander sich nicht unterscheiden, so sind sie ein und dasselbe. Der Menschengeist aber und Gott haben Sein und sie unterscheiden sich nicht voneinander. Denn sie müßten sonst durch etwas in ihrem Sein sich unterscheiden, was zum Sein des einen oder des anderen hinzuträte; dann wären sie aber zusammengesetzt. Auf der anderen Seite zählt Augustin (3. de orig. animae) unter den verkehrtesten und gottlosesten Dingen dies auf, zu meinen, Gott hätte die Seele nicht aus Nichts, sondern aus Sich selbst gemacht.
b) Ich antworte, daß die Behauptung, die Seele sei der Substanz Gottes entnommen, von vornherein bereits die größte Unwahrscheinlichkeit zur Schau trägt. Denn die Seele erkennt bald thatsächlich und bald ist sie nur im Zustande des Vermögens für das Erkennen. Sie empfängt ihre Kenntnis von den Dingen; und hat verschiedene Vermögen und Fähigkeiten. Das aber Alles ist fern von der Natur Gottes; der reine Thatsächlichkeit ist, nichts von außen empfängt und keinerlei Verschiedenheit von Akt und Potenz in sich hat. Dieser Irrtum aber scheint sich aus zwei Sätzen der Alten herzuleiten. Denn 1. meinten sie, es gäbe nichts als Körperliches; und Gott sei sonach ein Körper, der von allem anderen Körperlichen das Princip bilde. Und weil sie annahmen, die Seele sei zur Natur jenes Körpers gehörig, der von allem Körperlichen das Princip bilde, so folgte, die Seele sei aus der Substanz Gottes. Und nach dieser Meinung hielten die Manichäer dafür, Gott sei ein gewisses körperliches Licht und ein Teil dieses Lichtes sei in jedem Körper und bilde da die Seele. 2. Eine andere Meinung war die, daß etwas Unkörperliches wohl erfaßt wurde; aber als bildende Form des Körpers und nicht von diesem getrennt bestehend. Deshalb sagt Varro (Aug. 7. de civ. Dei cap. 6.), Gott sei die Seele der Welt, welche durch ihr Schauen und auf Grund ihrer Vernunft die Welt bewege und regiere. Sowie also der Mensch ein Teil der Welt ist, so sei auch ein Teil dieser Seele des All die Menschenseele. Denn sie konnten mit ihrer Vernunft nicht dahin gelangen, daß verschiedene Abstufungen in den geistigen Substanzen unterschieden werden müssen; sie unterschieden einzig und allein gemäß der Verschiedenheit der Körper. Das Alles aber sind Unmöglichkeiten wie Kap. 3 nachgewiesen worden.
c) I. „Einhauchen“ bedeutet da eben so viel als „den Lebensgeist machen“. Und auch der Mensch haucht nichts von seiner Substanz aus, wenn er atmet, sondern ihm Äußerliches. II. Die Seele ist ihrem Wesen nach wohl eine einfache Form. Aber sie ist nicht ihr eigenes thatsächliches Sein. Deshalb ist sie nicht die reine Thatsächlichteit wie Gott es ist. III. Das eine ist, wenn im eigentlichen Sinne gesprochen wird, vom anderen immer in irgend etwas unterschieden, also wird nur da nach einem Unterschiede wirklich gefragt, wo etwas Übereinstimmendes vorhanden ist. Und deshalb müssen Dinge, die sich voneinander im eigentlichen Sinne unterscheiden, immer gewissermaßen zusammengesetzt sein, da sie in etwas sich unterscheiden und in etwas übereinkommen. Nun ist wohl, was voneinander sich unterscheidet, auch verschieden, so daß das eine nicht das andere ist. Aber nicht Alles, was in dieser Weise verschieden ist, unterscheidet sich in der genannten Weise gegenseitig; wie 10 Metaph. gesagt wird. Denn die einfachen Wesen sind durch ihr eigenes Sein verschieden voneinander. Sie unterscheiden sich aber nicht in der Weise, daß etwas in ihrem Wesen allen gemeinsam sei und etwas nicht; daß sie also aus zwei Elementen in ihrem Wesen zusammengesetzt wären. So sind der Esel und der Mensch unterschieden durch das Vernünftige und Unvernünftige; das Vernünftige und Unvernünftige aber unterscheiden sich durch nichts Anderes wie durch sich selbst.
