XL. (Nr. 82.) An Hieronymus
Geschrieben im Jahre 405.
Den geliebtesten Herrn, den im Herzen Christi zu verehrenden Bruder und Mitpriester Hieronymus grüßt Augustinus im Herrn.
Inhalt.
Hieronymus hatte endlich sich dazu verstanden, sich in eingehender Weise über seine Auffassung von Gal. 2, 11 zu rechtfertigen1. Er beharrt bei seiner Auslegung, gemäß der Paulus den Petrus nur zum Scheine getadelt habe. Als Grund hierfür führt er an, daß Paulus ebenfalls zum Scheine öfter selbst getan habe, was hier von ihm an Petrus getadelt wird, daß er also ebenfalls sich Vorschriften des jüdischen Gesetzes unterzogen habe, indem er im Tempel ein Gelübde erfüllte und den Timotheus beschneiden ließ. Dies gibt nun dem heiligen Augustinus Gelegenheit, die Frage über die Bedeutung dieser alttestamentlichen Gesetzesvorschriften gründlich zu erörtern. Ihres vorbildlichen Charakters willen hatten sie ihre Bedeutung verloren, nachdem das Werk der Erlösung vollbracht war. Um aber den göttlichen Gesetzgeber zu ehren und damit es nicht scheine, als seien sie den Götzenopfern gleich zu achten, sollten sie gleichsam mit Ehren begraben werden, indem Juden und Christen gestattet war, sich ihnen noch zu unterziehen. Dabei aber mußte jeder Schein vermieden werden, als seien sie verbindlich oder als besäßen sie eine heiligende Kraft. Weil Petrus durch sein Verhalten diesen Anschein begünstigte, darum wurde er von Paulus getadelt. Ausdrücklich aber hebt Augustinus den Primat des Petrus hervor. Auch verteidigt er sich gegen den Vorwurf des S. 290 Hieronymus, als ob nach seiner Anschauung auch jetzt noch Judenchristen diese gesetzlichen Vorschriften erfüllen dürften. Was zu Zeiten der Apostel ehrenvolles Begräbnis gewesen, wäre jetzt frevelhafte Grabschändung. Weiter beharrt Augustinus auf seiner Unzufriedenheit mit der Bibelübersetzung aus dem Hebräischen, die er für den kirchlichen Gebrauch wegen des Ansehens der Septuaginta nicht für passend hält, und spricht den Satz aus, der zu einer weiteren Kontroverse Anlaß gab, daß einer Bibelstelle ein mehrfacher Sinn unterlegt werden könne und also mehrere verschiedene Deutungen einer und derselben Stelle zugleich richtig sein könnten.
Nr. 75 der Briefe des heiligen Augustinus ↩
