IV. 30.
Betrachte, ich bitte dich, wenn es dir gefällt, dich selbst, und zwar, wie ich meine, in deinem Verhältnisse zu mir! Rufe dir ins Gedächtnis zurück, oder wenn du Abschriften hast, so lies wieder jene Worte in deinem kurzen Briefe, den du mir durch unseren Bruder Cyprianus, meinen jetzigen Amtsbruder, geschickt hast. Nachdem du ernstlich getadelt hattest, daß ich etwas gegen dich begangen, fügst du mit wahrhaftem, echtem und liebevollem Eifer bei: „Hierdurch wird die Freundschaft verletzt, hierdurch das Recht der Vertraulichkeit beeinträchtigt; wir wollen nicht Knaben gleich miteinander streiten, noch Gönnern und Neidern einen Anlaß zur Zwietracht bieten.“ Diese Worte hast du — das sagt mir mein Inneres — nicht nur aus deinem Herzen, sondern auch in wohlwollender Gesinnung und in der Absicht, mir zu raten, gesprochen. Sodann fügst S. 317 du bei, was auch offenbar wäre, wenn du es nicht schriebest: „Dies schreibe ich, weil ich dich aufrichtig und christlich zu lieben begehre und nichts in meinem Herzen zurückbehalten will, was nicht auch auf meine Lippen kommt.“ O heiliger Mann, den ich — Gott sieht auf meine Seele! — mit wahrhaftem Herzen liebe! Gerade so, wie du in deinem Briefe geschrieben und wie du dich auch, woran ich nicht zweifle, verhalten hast, ebenso hat, wie ich bestimmt glaube, der Apostel Paulus in seinen Briefen nicht bloß gegen irgendeinen Menschen sich verhalten, sondern gegen Juden und Griechen und alle Völker, die seine Kinder waren, die er im Evangelium gezeugt hatte und um deren Geburt willen er Schmerzen erlitt, ebenso auch später gegen ihre Nachkommen, gegen so viele Tausende gläubiger Christen, für die jener Brief aufbewahrt wurde — daß er nämlich nichts im Herzen zurückbehielt, was nicht auf die Lippen kommen sollte.
