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Daher sage ich meinem Lehrer unablässig Dank, dass er mich, als ich ähnlich wie du hin und her schwankte, festhielt, sodass ich heute Christ bin. Denn genau wie du war auch ich, als ich diese Schriftstelle (Mt. 5,17) ohne genaues Überlegen las, beinahe entschlossen, Jude zu werden. Und das hatte seinen guten Grund. Wenn nämlich Christus kam, nicht um das Gesetz aufzuheben, sondern es zu vollenden, schien es mir - da man ja den Ausdruck Vollmachen niemals bei einem leeren Gefäss verwendet, sondern nur bei einem teilweise gefüllten –, dass allein ein Israelit Christ werden könne, der, vom Gesetz und den Propheten bereits zum grössten Teil erfüllt, nun zu Christus käme, um sich das ergänzen zu lassen, wofür er noch aufnahmefähig schien, dies alles natürlich unter der Voraussetzung, dass Christus selber das, was vorher da war, nicht aufhob. In diesem Fall wäre es auch beim Juden kein Auffüllen sondern ein Entleeren. Ich glaubte nun, dass ich als einer, der vom Heidentum herkam, vergeblich an Christus herangetreten wäre, weil ich ja nichts von all dem mitbrächte, was er mit seinen Zugaben in mir vervollständigen könnte. Bei der Suche nach jenem früheren Messinhalt treffe ich auf die Sabbatruhe, die Beschneidung, die Opferriten, die Neumondfeiern und die rituellen Waschungen, das Fest der Ungesäuerten Brote, die Unterscheidungen bei den Speisen, Getränken und Kleidern, und anderes mehr, was einzeln aufzuzählen zu weit führen würde. Ich kam also zum Schluss, dass es dies und nichts anderes war, was Christus bei seinem Kommen nicht aufheben, sondern vollenden wollte. Und damit hatte ich ja nicht Unrecht. Denn was ist das Gesetz ohne Gebote? Was sind die Propheten ohne Vorhersagen? Dabei treffe ich auch noch auf jenen dort (cf. Deut. 27,26) eingefügten bitterbösen Fluch gegen jene, die nicht bei all dem verharren, was im Buch dieses Gesetzes steht, um es zu befolgen. Da ich nun einerseits in Furcht war wegen dieses Fluches, den ich für Gottes Fluch hielt, anderseits das Wort Christi, den ich für Gottes Sohn hielt, hörte, dass er nicht gekommen sei, all das aufzuheben, sondern es zu vollenden (cf. Mt. 5,17), da kannst du dir denken, dass mich nichts mehr aufhalten konnte, Christ zu werden. Aus dieser Gefahr aber rettete mich der verehrungswürdige Glaube Manis.
