18.
Woher nehmen sich die Manichäer also das Recht, Gesetz und Propheten mit ihrer Behauptung zu verunglimpfen, Christus sei gekommen, diese aufzuheben nicht zu vollenden, weil die Christen angeblich die darin enthaltenen Vorschriften nicht einhielten, wo sie doch in Wirklichkeit nur jene Vorschriften nicht einhalten, die der Verheissung Christi dienten, und sie eben deshalb nicht einhalten, weil Christus diese Verheissungen bereits erfüllt hat, was bedeutet, dass das gar keine Verheissungen mehr sind, da sie ja schon erfüllt sind, und dass auch die Zeichen, die jene Verheissungen sichtbar machten, bei eben den Menschen ein Ende finden mussten, die zum Glauben an Christus, den Erfüller dieser Zeichen, fanden, als sie bereits in diese Zeichen eingeweiht waren? Halten sich etwa die Christen nicht daran, wenn in jener Schrift steht: Höre, Israel, der Herr, dein Gott, ist der einzige Gott (deut. 6,4); du sollst dir kein Abbild machen (ib. 5,8), und weiteres dieser Art? Halten sie sich nicht daran, wenn dort steht (ib. 5,11): Du sollst den Namen deines Herrn nicht unnötig in den Mund nehmen? Beachten die Christen etwa die Sabbatruhe nicht (cf. Ib. 5,12), deren Funktion darin besteht, die wahre Ruhe erkennbar werden zu lassen? Ehren etwa die Christen ihre Eltern nicht, wie es dort vorgeschrieben ist (ib. 5,16)? Nehmen die Christen etwa nicht Abstand von Hurerei (ib. 5,18), Mord (ib. 5,17), Diebstahl (ib. 5,19), falschem Zeugnis (ib. 5,20), von der Begierde nach der Frau des Nächsten (ib. 5,21), alles Gebote, die in jenem Gesetz stehen? Diese Gebote regeln die Lebensführung, jene Heilsrituale aber dienen der Verheissung; die Erfüllung dieser Gebote wird möglich durch die Hilfe der Gnade, die Erfüllung jener Heilsrituale durch das Offenbarwerden der Wahrheit, beides aber durch Christus, der uns jene Gnade schon immer schenkte, und sie jetzt auch noch sichtbar machte, und der uns diese Wahrheit damals verhiess und sie jetzt überreichte. Denn das Gesetz wurde durch Moses gegeben, die Gnade und die Wahrheit aber kamen durch Jesus Christus (Joh. 1,17). Und als letztes: diese Gebote, die durch ein gutes, vom Gewissen bestimmtes Leben erfüllt werden, erreichen ihre Vollkommenheit im Glauben, der durch die Liebe wirksam wird (Gal. 5,6), jene Rituale dagegen, die die Sinnbildfunktion der Verheissung einnehmen, haben ihre Aufgabe erfüllt, seitdem uns die verheissene Wirklichkeit überreicht wurde. So sind auch sie nicht aufgehoben worden, sondern zur Vollendung gelangt, da ja Christus zeigte, dass sie weder überflüssig noch irreführend waren, indem er das, was mit ihrer Sinnbildhaftigkeit verheissen wurde, verwirklichte.
