Erster Artikel. Das Verhältnis der vorherbestimmung zum Buche des Lebens.
a) Es scheint, daß die Vorherbestimmung nicht dasselbe sei, wie das Buch des Lebens. Denn: I. Im Eccli. 24, 52. heißt es: „Das alles ist das Buch des Lebens;“ wozu die Glosse bemerkt: „Das Alte und Neue Testament;“ nicht also die Vorherbestimmung. II. Augustin (20. de Civ. Dei. c. 14.) sagt: „Das Buch des Lebens ist eine gewisse göttliche Kraft, durch welche es geschehen wird, daß jedem seine Werke, die guten wie die schlechten, ins Gedächtnis zurückgeführt werden.“ III. Der Vorherbestimmung steht gegenüber die Verwerfung. Giebt es also ein Buch des Lebens, so müßte auch ein Buch des Todes gefunden werden. Auf der anderen Seite heißt es in der Glosse (aus Cassiodor über Ps. 68: deleantur e libro viventium): „Dieses Buch des Lebens ist nichts Anderes als die Kenntnis Gottes, vermittelst deren Er vorherbestimmt hat zum Leben jene, die er vorhergewußt hat.“
d) Ich antworte, daß „das Buch des Lebens“ figürlich gebraucht wird gemäß einer von den Dingen entnommenen Ähnlichkeit. Es ist nämlich unter den Menschen Sitte, daß jene, welche zu etwas auserwählt werden wie zum Kriegsdienste oder zu einer Ratsversammlung, man in einem Buche aufschreibt, wonach ja ehemals die Senatoren Patres conscripti genannt wurden. Es ist aber klar, daß alle Vorherbestimmten auserlesen werden, um das ewige Leben zu besitzen. Das Aufschreiben selber also der Vorherbestimmten wird „Buch des Lebens“ genannt. Es wird aber von etwas figürlich gesagt, es sei eingeschrieben in die Vernunft, was fest im Gedächtnis haftet, wie Prov. 3, 3. gesagt wird: „Vergiß nicht auf mein Gesetz und meine Gebote möge behüten dein Herz,“ und gleich darauf: „Schreibe sie ein in die Tafeln deines Herzens.“ Denn auch in die sichtbaren Bücher wird etwas geschrieben, um dem Gedächtnisse aufzuhelfen. Die Kenntnis selber also, welche Gott mit fester Bestimmtheit hat über die von Ihm zum Leben Vorherbestimmten, wird „Buch des Lebens“ genannt. Wie nämlich die Schrift eines Buches ein Zeichen ist für das, was geschehen soll, so ist auch für Gott ein gewisses Zeichen die Kenntnis, welche Er von denen hat, die zum ewigen Leben zu führen sind. In dem Sinne sagt Paulus (II. Tim. 2, 19.) Fest steht das Fundament Gottes; es hat dieses Zeichen: Gotl kennt jene, die Ihm gehören.“ I. „Buch des Lebens“ kann in zweifachem Sinne aufgefaßt werden: Einmal als das Einschreiben jener, die erwählt sind zum Leben; — und so gebrauchen wir es hier. Dann das Einschreiben dessen, was zum Leben führt; und zwar in diesem Falle entweder so, daß die Richtschnur für das menschliche Händeln darin enthalten ist; — und das ist das Alte und Neue Testament; oder so, daß es das bereits Geschehene enthält; und so ist es jene göttliche Kraft, durch welche jedem ins Gedächtnis kommt, was er gethan und gelassen. So könnte auch jenes Buch ein „Soldatenbuch“ genannt werden, in welchem aufgeschrieben sind die Regeln der Kriegskunst oder in welchem von den Thaten der Soldaten erzähllt wird. II. Damit ist auch auf den zweiten Einwurf geantwortet. III. Man schreibt nicht jene auf, welche verschmäht, sondern jene, welche auserlesen worden stnd. Dem „Buche des Lebens“ entspricht deshalb kein „Buch des Tobes“. IV. Der Auffassung nach ist das Buch des Lebens unterschieden von der Vorherbestimmung, insoweit es präcis die Kenntnis bezeichnet, welche Gott von den Auserwählten hat. Cassiodor drückt dies übrigens in der angezogenen Stelle ebenfalls aus.
