Neunundvierzigstes Kapitel. Über die Ursache des Übel. Überleitung.
„Mich haben sie verlassen, den lebendigen Gott: und sie haben sich gegraben Cisternen, welche Wasser nicht halten können.“ (Jerem. 2, 13.) Das ist die Sünde: Gott verlassen, den Spender alles Lebens und alles Seins! Wie mag dann in der Kreatur noch irgend welcher wahre Frieden gefunden werden können, wenn die Seele den verlassen hat, welcher der Kreatur Sein und Gut gegeben! In unnachahmlicher Schärfe hat der Engel der Schule oben den wahren Charakter der Schuld bestimmt; und seine Bestimmung kommt ganz überein mit dem, was er vorher bereits über den dreieinigen Gott und dessen Wirken im menschlichen Geiste gesagt. „Die Schuld ist dem ungeschaffenen Gute, der Liebe, mit der Gott Sich selbst als das göttliche Gut liebt, entgegengesetzt.“ Gott wirkt nicht in der Seele; Er liebt Sich nicht selber in der Seele; Er zieht nicht die Seele zu seiner Liebe, zu seiner Seligkeit? Und wer trägt davon die Schuld? Der Mensch allein, der das Vermögen hat, nicht im Geschöpflichen stehen zu bleiben. Oder weiß der Mensch nicht, daß er sündigt? Kann er es nicht und müßte er es nicht wissen, daß seine Handlung Sünde ist? Ist nicht seine Vernunft auf alle Wahrheit ohne Ausnahme gerichtet, sein Wille dem Vermögen nach auf alles Gut? Und ist ihm das nicht bekannt? Darin besteht ja seine Sünde, daß er immer und ohne Ende mehr will von einem beschränkten Gute, daß er keine Grenzen kennen will in dessen Genusse. Also hat er nur mit sich selber zu Rate zu gehen; er hat nur seine eigene Ehre wahrzunehmen, um zu wissen, daß kein beschränktes Gut ihm genügt. Im Akte der Sünde selber liegt bereits die Schuld, die er seinen eigenen erhabenen Vermögen schuldet. Er will ohne Grenzen genießen. Das ist sein natürliches Vermögen. Und er will dieses Grenzenlose, Unendliche im Endlichen, im Beschränkten finden. Das ist seine Sünde, das zu Sühnende, das Schuldige. Er schuldet es nicht so recht eigentlich und unmittelbar Gott gegenüber; — der Mensch schuldet es seinem eigenen Vermögen, seiner Vernunft und seinem Willen, daß er kein beschränktes Gut als das thatsächlich ihn bestimmende festhalte; daß er nicht beim Endlichen ausruhe. Diese Schuld muß und kann er, wenn er nur sich selbst fragt, im Akte der Sünde leicht lesen; er kann sie lesen in der Unruhe seines Herzens; er kann sie lesen in den Kreaturen, im Gesetze Gottes. „Die Schuld,“ sagt Thomas, „ist im Thätigsein selber.“ Der Mensch schuldet es sich, daß das ungeschaffene Gut in ihm thätig sei; daß er also thatsächlich Herr sei in seinem Wirken, Herr kraft desjenigen, der allein wahrer Herr ist. Er schuldet es sich, seinen Vermögen, daß das ungeschaffene Gut in ihm Sich selbst liebt und in dieser Liebe dann ihn zum Herrn macht über die Kreatur, ihn zu Sich zieht, der alles Sein, alles Leben, alle Macht in Sich hat; — aber anstatt Gott in sich als bestimmenden Grund zu besitzen und auf Grund dessen seine Freiheit und Selbständigkeit zu einer selbstthätigen, im höchsten Grade von allen kreatürlichen Banden thatsächlich freien zu machen; bleibt Gott und den Geschöpfen gegenüber der Sünder im Zustande des Vermögens; er wird von anderen, von „Fremden“, von endlichen Gütern gebraucht oder vielmehr gemißbraucht, während er es sich schuldet, alles Andere zu gebrauchen und Gottes zu genießen. Was ist Strafe? Thomas antwortet: „Der Verlust irgend welchen Gutes, welches dem Geschöpfe zu eigen ist oder zu eigen werden kann.“ Die Strafe besteht im verminderten Vermögen zu wirken; die Schuld als Quelle der Strafe in der thatsächlichen Abwesenheit dessen, der allein alles Vermögen im Menschen, so daß nichts darin mangelt, bethätigen kann. Wirkt Gott nicht im Innern des Menschen, so kann die Strafe naturgemäß nicht ausbleiben. Das große, alle Dinge umfassende Vermögen im Menschen bleibt nach den verschiedensten Seiten hin unbethätigt, träg liegen. Das der Kreatur als solcher eigene Gut, das Vermögen nämlich für das höchste Gut, das bonum creaturae, vermittelst dessen die Kreatur selber wirkt, wird im entsprechenden Maße fortgenommen. Die Schuld des Menschen ist es, daß das Wirken Gottes nicht bestimmend im Wirken des Menschen ist. Aber dieses Wirken, dieses Thätigsein Gottes als solches bleibt immerdar Gott eigen. Es ist einzig und allein bestimmend, nie leidend. Es ist das höchste Gut, welches von Sich selber ausreichend geliebt wird. Es wird nie dem sterblichen Menschen so zu eigen, daß es ein „Gut der Kreatur“ bliebe. Dieses Bethätigen von seiten Gottes, der erstbestimmenden Ursache, an und für sich geht vorüber. Nur in dem Sinne bleibt es dem Menschen zu eigen, insoweit der Mensch ein Vermögen hat, es in sich aufzunehmen, insoweit also vermittelst desselben das Vermögen in ihm selbst stärker wird. Dieses Wirken nun fehlt in der Schuld. Und deshalb ist sie ein Fehler, ein Mangel im entsprechenden Thätigsein des geschöpflichen Willens; ein Fehlen, zu dessen Vermeidung der Mensch in sich das Vermögen hat. Die Strafe bleibt im Vermögen der Kreatur selbst und entzieht diesem zuerst die Bereitwilligkeit, Gutes zu wirken; und dann immer mehr Gewalt und Macht. „Von den Enden der Erde habe ich zu dir geschrieen: als mein Herz voll Angst war, hast du mich auf den Felsen erhoben.“ So, gerade so mußt du thun. Gleiche nicht denen, die im Vergnügen ihr Ende suchen; nicht jenen, die in ihren Gedanken eitel geworden, auf ihr Wissen pochen. Nein; wenn ein jedes dieser Güter bis zu seinem Ende, wenn es sich mit all seiner anziehenden Kraft vor dir entfaltet hat, dann bleibe nicht dabei stehen; sondern gerade dann sei dein Verlangen nur um so mehr erweitert. Gerade dann erkenne in deinem Innern, wie gering diese Kreaturen in sich sind. Rufe, schreie von diesen Enden der Erde. Dein Verlangen verwandle sich in Furcht und Angst vor dir selber, je grüßer das kreatürliche Gut dir erscheint. Der ewige Felsen soll sich in dir niederlassen; er wird dich zu sich erhöhen und er erst wird dein Herz mit wahrer Freude und wirklichem Genusse auch an den Kreaturen anfüllen. „Die Enden der Erde werden preisen den Herrn,“ daß sie mit dir erhoben worden sind. Trostvoll, freudebringend sind die Kreaturen mit Gott und in Gott. Willst du sie gebrauchen ohne Gott; so täuschest du dich: sie gebrauchen, sie führen dich dann. Sie selber offenbaren immerdar die Macht, die Gott in sie gelegt. Aber du wirst ihr Sklave und zwar ihr hungernder und dürstender Sklave; denn der Prophet sagt: „Mich haben sie verlassen, die Quelle lebendigen Wassers: und sie haben sich Cisternen gegraben, die Wasser nicht halten können.“
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