Zweiter Artikel. Der Engel ist nur in einem einzigen Orte, nicht zugleich in mehreren.
a) Dagegen spricht: I. Der Engel ist stärker als die menschliche Seele. Diese aber ist zugleich in mehreren Orten; denn sie ist zugleich ganz in jedem Teile des Körpers. (August. lib. 6 de Trin. cap. 6.) Also ist auch der Engel an mehreren Orten zugleich. II. Der Engel ist zugleich in jedem Teile seines angenommenen Körpers, da dieser Körper etwas Zusammenhängendes ist. Also ist er zugleich in mehreren Orten. III. Damascenus sagt (2. de orth. fide cap. 3.): „Der Engel ist da, wo er wirkt.“ Manchmal aber wirkt er an mehreren Orten, wie jener Engel, der Sodoma zerstörte. Auf der anderen Seite schreibt Damascenus (2. de orth. fide cap. 3.): „Während die Engel im Himmel sind, sind sie nicht auf der Erde.“
b) Ich antworte; nur Gottes wirkende Kraft ist unbegrenzt und deshalb ist Gott nicht nur an mehreren Orten, sondern überall. Die Kraft des Engels aber ist begrenzt und erstreckt sich demnach auf etwas Eines, auf etwas bestimmt Abgegrenztes. Denn was auf eine Kraft hinbezogen wird, das muß als Eines, als Einheitliches dahinbezogen werden. So wird das ganze Sein als Eines, als eine Einheit zur allgemein waltenden Kraft Gottes hinbezogen. Und ebenso wird ein besonderes Sein als etwas Eines zur Kraft des Engels hinbezogen. Da also der Engel dadurch im Orte ist, daß er seine Kraft dahin erstreckt, so folgt, daß er nur in einem Orte ist. Darin sind jedoch Manche in einer Täuschung befangen. Denn sie meinen, der Engel sei in der Weise unteilbar wie ein Punkt und glauben, er sei an einem Orte, wie dies einem Punkte zukommt. Doch das ist ganz offenbar falsch. Denn der Punkt ist etwas in der Weise Unteilbares, daß er eine gewisse Lage besitzt. Der Engel aber ist außerhalb allen Umfanges. Also ist ihm kein Ort bestimmt, der gemäß der Lage oder dem Umfange nach unteilbar ist; sondern sein Ort an sich ist teilbar oder unteilbar, größer oder kleiner, je nachdem das Körperliche, auf das seine wirkende Kraft sich richtet, größer oder kleiner ist. Dieses Körperliche also, so groß es sein mag, ist sein Ort. Damit ist jedoch nicht gesagt, daß wenn der Engel den Himmel (d. h. die Gesamtheit der Himmelskörper) bewegt, er dann überall sei, weil der Himmel überall hinwirke. Denn 1. wendet der Engel seine Kraft nur auf das an, was an erster Stelle von ihm bewegt wird. Nur eine Stelle des Himmels aber ist da, wo an erster Stelle die Bewegung sich findet; nämlich der östliche Teil, wonach auch Aristoteles (8 Phys.) die Kraft dessen, der an erster Stelle die Himmelskörper bewegt, der Ostseite zuwendet. 2. Es nehmen die Philosophen nicht an, daß eine einzige dieser stofflosen Substanzen unmittelbar alle Himmelskörper bewege. Also ist deshalb der Engel nicht überall. So nun wird in verschiedener Weise vom Körper, vom Engel und von Gott ausgesagt, sie seien im Orte. Der Körper ist im Orte als gemessen und umschlossen vom Orte. Der Engel ist im Orte, weil er auf das eine Körperliche in solch bestimmter Weise seine wirkende Kraft richtet, daß sie nicht auf einen anderen Ort gerichtet ist. Gott aber ist in keiner dieser Weisen im Orte, sondern überall ist Er. Alles jenes Sein also, worauf die Kraft des Engels sich richtet, mag es ein zusammenhängendes oder mögen es voneinander getrennte Dinge sein, wird als der eine Ort eines Engels bezeichnet.
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