Erster Artikel. Das Verhältnis des Engels zum Bewegtsein.
a) Es scheint, daß ein Engel keine Bewegung von Ort zu Ort haben könne. Denn: I. Was keine Teile hat, kann nicht in Bewegung sein. So lange etwas nämlich im Ausgangspunkte sich findet, ist es noch nicht in Bewegung; findet es sich am Abschlußpunkte, so ist es schon verändert. Soll demgemäß etwas in Bewegung sein, so ist es mit einem Teile am Ausgangspunkte, mit dem anderen Teile am Abschlüsse; was beim Engel nicht statthaben kann. II. Bewegung ist die Thätigkeit dessen, was noch nicht am Ende, noch unvollendet ist. Das ist aber beim heiligen Engel nicht der Fall. III. Es bewegt sich jemand, weil er etwas bedarf. Die Engel bedürfen nichts. Also hat der Engel keine Bewegung von Ort zu Ort. Auf der anderen Seite bewegt sich die heilige Seele. Also ist auch der heilige Engel in Bewegung. Das Erstere geht aus dem Glaubensartikel hervor, daß Christus seiner Seele nach „zur Hölle hinabgestiegen ist“. Also untersteht auch der Engel einer Bewegung von Ort zu Ort.
b) Ich antworte; von Ort zu Ort in Bewegung zu sein, kommt wohl dem seligen Geiste zu; aber entsprechend dem, wie er im Orte ist. Denn der Körper wird gemessen und umschlossen durch seinen Ort und so muß auch sein Bewegtwerden nach den Bedürfnissen und den Verhältnissen des Ortes bemessen werden. Also nach dem Zusammenhängenden des Umfanges und der Größe des Dinges ist auch das Zusammenhängende in der Bewegung; und wie in der Größe und im Umfange ein Vor und Nach bezeichnet wird, so auch in der Bewegung von Ort zu Ort. So beschaffen ist die Bewegung des Engels nicht. Sie richtet sich in keiner Weise nach den Verhältnissen des Ortes; aber sie kann eine zusammenhängende sein oder nicht. Da der Engel nämlich nur kraft der Berührung seiner wirkenden Kraft in einem Orte ist, so will ein Bewegen von Ort zu Ort bei ihm besagen, daß seine Kraft verschiedene Orte berührt, den einen nach dem anderen und nicht zugleich; denn ein Engel ist nicht zugleich in mehreren Orten. Nun ist es nicht erfordert, daß dieses Berühren immer ein in sich zusammenhängendes sei; obwohl es immerhin ein in sich zusammenhängendes sein kann. Denn wie dem Körper ein teilbarer Ort angewiesen wird kraft der Berührung mit seiner Größe, so kann auch für den Engel ein teilbarer Ort angezeigt werden für die Berührung durch seine Kraft und somit für die Äußerung der letzteren. Wie also der Körper nach und nach in zusammenhängender Weise den Ort verläßt, wo er früher war und dadurch das Zusammenhängende in der Bewegung desselben entsteht; so kann auch der Engel von einem Teile des Ortes seine Kraft zurückziehen und sie dem anderen Teile, der mit dem ersten zusammenhängt und auf ihn folgt, zuwenden; und dann ist diese Bewegung eine in sich zusammenhängende wegen des Zusammenhängenden im Gegenstande der Kraft, worauf diese sich richtet. Und es kann der Engel auch dem ganzen Orte zugleich seine Kraft entziehen und auf einen ganz anderen Ort anwenden; — und dann wird eine solche Bewegung nicht eine zusammenhängende sein.
c) I. Der erste Einwurf ist nach zwei Seiten hin wertlos: Erstens; weil der Beweis des Aristoteles von dem ausgeht, was gemäß dem Umfange unteilbar ist, welchem notwendigerweise auch ein unteilbarer Ort entspricht, damit das Umfangreiche da sich finde. Ein solches Unteilbare aber wie der Punkt ist der Engel nicht. Zweitens; weil die ganze Beweisführung des Aristoteles von der in sich zusammenhängenden Bewegung ausgeht. Denn handelt es sich um eine solche nicht, so kann ganz wohl gesagt werden, daß etwas in Bewegung sei sowohl in seinem Ausgangspunkt wie im Abschlüsse der Bewegung. Denn die Aufeinanderfolge in den verschiedenen Lagen, welche ein und dasselbe Bewegliche einhält, könnte Bewegung genannt werden, wenn auch diese Lagen durch keinen zusammenhängenden körperlichen Umfang beständig miteinander verbunden wären, so daß das ganze Bewegliche jetzt in der einen Lage sei und jetzt in der anderen ohne jegliche räumliche Verbindung der beiden Lagen von seiten des beweglichen Gegenstandes. Dann könnte auch das betreffende bewegliche Ding in allen diesen Lagen als in Bewegung seiend bezeichnet werden. Das kann aber bei einer in sich zusammenhängenden Bewegung nicht geschehen. Denn nichts in sich Zusammenhängendes ist in der Weise ausgedehnt, daß es als solches in einem der Schlußpunkte der Bewegung, sei es nach dem Anfange sei es nach dem Ende hin, sich ganz befände; keine Linie ist ja im Punkte. Und deshalb ist ein derartiges Ding, soweit es der Bewegung unterliegt, nicht seiner ganzen Ausdehnung nach in einem der begrenzenden Punkte, sondern teilweise in dem einen, teilweise im anderen. Insofern also in der Bewegung des Engels nichts Zusammenhängendes ist, erscheint die Beweisführung des Aristoteles als hinfällig. Handelt es sich aber um eine in sich zusammenhängende Bewegung, so wird zugegeben, der Engel sei teilweise am Ausgangspunkte, teilweise am Abschlüsse. Dieses „teilweise“ darf aber nicht bezogen werden auf die Substanz des Engels, sondern auf den Ort. Denn im Anfange seiner Bewegung, d. h. seiner Einwirkung auf den Ort richtet der Engel seine Kraft auf den ganzen teilbaren Ort, von wo die Bewegung beginnt; ist er aber mitten im Einwirken, also mitten in der Bewegung, so wirkt seine Kraft teilweise, je nachdem der zusammenhängende Ort vorübergeht, im ersten Teile des Beweglichen, den er verläßt und teilweise im zweiten damit verbundenen Teile, den er nun durch seine Kraft berührt. Der Engel hat also in seiner Kraft eingeschlossen den teilbaren Ort in eben dem Maße, wie den Körper seinem Umfange nach eingeschlossen hält der teilbare Ort. Wie also der von Ort zu Ort bewegliche Körper teilbar ist gemäß der Größe und dem Umfange, so ist der Engel in Bewegung, inwiefern er auf einen teilbaren Körper seine Kraft anwendet. II. Die Bewegung dessen, was etwas werden kann, ist die Thätigkeit des Unvollendeten; die Bewegung, welche in der Anwendung der Kraft auf etwas Bewegliches besteht, ist eine Äußerung der Vollkommenheit. Denn die Kraft des Einwirkens entspricht dem Grade der Vollendung im einwirkenden Sein. III. So geschieht auch die Bewegung des ersteren auf Grund des eigenen Bedürfnisses, etwas zu werden; die Bewegung des letzteren auf Grund des Bedürfnisses im anderen. Und so ist der Engel in Bewegung von Ort zu Ort wegen uns, wie Hebr. 1. es heißt: „Alle sind dienende Geister, gesandt wegen derer, welche die Erbschaft ewiger Herrlichkeit antreten sollen.“
