Zweiter Artikel. Der Engel kann in seiner Bewegung die Mittelorte zwischen Anfang und Ende berühren; aber er hat es nicht notwendig.
a) Es scheint, daß der Engel gar nicht die Zwischenorte berührt. Denn: I. Jegliches Ding, welches so von einem Ausgangspunkte bis zum Abschlüsse in Bewegung ist, daß es die Zwischenorte berührt, durchmißt, ehe es durch einen größeren Ort sich hindurchbewegt hat, zuerst immer einen ihm gleichen, nämlich seinem Umfange entsprechenden Ort. Ein solcher Ort aber ist für den Engel, der da unteilbar ist, der unteilbare Punkt, respektive der Platz, den er einnimmt. Berührt also der Engel in seiner Bewegung die Zwischenorte, so muß er sich durch endlos viele Punkte hindurchbewegen, da jedes Teilbare in endlos viele unteilbare Punkte sich zerlegt. Es ist aber unmöglich, endlos viele Punkte zu durchschreiten. Also. II. Der Engel hat eine einfachere Substanz wie unsere Seele. Diese aber kann mit ihrem Gedanken vom einen zum anderen übergehen, z. B. von Frankreich nach China, ohne die Zwischenorte zu berühren. Also. Auf der anderen Seite ist der Engel am Schlußpunkte der Bewegung nicht in Bewegung; denn da ist er bereits, soweit es die Bewegung anlangt, verändert. Vor dem Verändertsein kommt aber das Verändertwerden. Also ward er irgendwo verändert oder in Bewegung. Dies konnte aber nicht im Ausgangspunkte sein. Also muß es in den Zwischenorten geschehen. Dann muß aber der Engel in seiner Bewegung die Zwischenorte berühren.
b) Ich antworte, daß die Bewegung des Engels von Ort zu Ort in sich zusammenhängend sein kann oder nicht. Im ersten Falle müssen die Zwischenorte berührt werden; denn 5 Phys. et 11 Metaph. heißt es: „In der Mitte befindlich wird genannt, wohin das, was sich verändert, vorher gelangt, ehe es zum Schlüsse der Veränderung kommt.“ Die Reihenfolge des Vor und Nach in der Bewegung richtet sich nämlich nach dem Verhalten des Vor und Nach in der Größe oder im Umfange. Ist aber die Bewegung nicht in sich zusammenhängend, so ist es möglich, daß er von einem Endpunkte zum anderen gelangt, ohne die Zwischenorte zu berühren. Und das erhellt so. Zwischen zwei begrenzenden Orten sind ohne Ende viele Zwischenorte, mögen diese als unteilbare betrachtet werden oder als teilbare. Rücksichtlich der ersteren ist dies offenbar. Denn zwischen zwei Punkten liegen ohne Ende viele Punkte; da niemals zwei Punkte sich unmittelbar folgen, ohne daß etwas zwischen ihnen ist; sonst wären sie eine Linie und nicht zwei Punkte (6 Phys.), wie Aristoteles beweist. Rücksichtlich der teilbaren Zwischenorte aber muß ihr „ohne Ende“ nachgewiesen werden. Das geschieht so. Der Körper ist nicht in Bewegung von Ort zu Ort außer innerhalb der Zeit. In der ganzen Zeit aber, welche für die betreffende Bewegung das Maß ist, kann man nicht zwei Augenblicke, zwei Nun, bezeichnen, in welchen der Körper nicht je in einem anderen Orte wäre. Denn wäre er in zwei Augenblicken oder in zwei Nun an ein und demselben Orte, so würde folgen, daß er da ruhte; da nichts Anderes das Ruhen bedeutet wie in demselben Orte sein jetzt und vorher, also im bestehenden und voraufgehenden Nun. Da also zwischen dem ersten Nun der messenden Zeit und dem letzten ohne Ende viele Nun oder Augenblicke sind, so ist es notwendig, daß zwischen dem ersten Orte, von wo die Bewegung anfängt und dem letzten, wohin sie schließlich mündet, ohne Ende viele Orte sind. Ganz dasselbe erscheint auch klar für die Sinne. Es sei der in Bewegung befindliche Körper einen Fuß groß; der zu durchmessende Weg zwei Fuß lang, so ist offenbar der Ort, von dem die Bewegung beginnt, einen Fuß lang, da der Körper so viel mißt; und der Ort, in den die Bewegung mündet, hat die Länge des anderen Fußes. Beginnt nun der Körper in Bewegung zu sein, so verläßt er nach und nach den ersten Fuß und nimmt allmählich den Raum des zweiten ein. Gemäß dem aber daß ein Körper, der die Größe eines Fußes hat, geteilt wird, vervielfältigen sich auch die Orte. Denn jeder Punkt, den man bezeichnet in dem Umfange des ersten Fußeß ist der Beginn eines Ortes; und der entsprechende Punkt, den man bezeichnet im Umfange des zweiten Fußes, ist der Schlußpunkt dieses selben Ortes. Da nun also jede Größe endlos geteilt werden kann und jede Größe oder Umfang demnach endlos viele Punkte dem Vermögen nach hat, so folgt, daß zwischen zwei beliebigen Grenzpunkten endlos viele Zwischenorte sind. Das Bewegliche aber überwältigt das „ohne Ende“ in den Zwischen-orten nur durch das Zusammenhängende in seiner Bewegung. Denn wie die genannten Orte nicht thatsächlich unendlich sind, sondern endlos dem Vermögen nach, insoweit immer größere Teilung und somit immer mehr Orte gedacht werden können; so ist auch die Bewegung dem Vermögen nach endlos, d. h. sie kann immer langsamer oder schneller gedacht werden. Ist jedoch die Bewegung nicht in sich zusammenhängend, so werden alle Teile der Bewegung thatsächlich gezählt werden können. Ist also die Bewegung eines irgend welchen Wesens nicht in sich zusammenhängend, so folgt entweder, daß die Zwischenorte vom Beweglichen nicht berührt werden, sondern vom Ausgangspunkte unmittelbar an das Ende gelangt wird; — oder daß man thatsächlich endlose Punkte zähle. Das letztere ist unmöglich. Insofern also die Bewegung des Engels keine in sich zusammenhängende ist, berührt sie nicht alle Zwischenorte. Dem Engel nun kann das wohl zukommen, daß er von einem Endpunkte zum anderen hin in Bewegung ist ohne die Zwischenorte zu berühren; nicht jedoch dem Körper. Denn letzterer ist vom Orte umschlossen und muß deshalb dessen Gesetzen folgen. Die Substanz des Engels aber umschließt den Ort und beherrscht ihn. Er kann also seine Kraft anwenden wie er will; er kann die Zwischenorte berühren oder nicht.
c) I. Es giebt keinen dem Engel „gleichen“ Ort gemäß der Größe, sondern gemäß dem Einflüsse seiner wirkenden Kraft. Und so kann der Ort des Engels teilbar sein und nicht immer nach Art eines Punktes unteilbar. Trotzdem sind ebenfalls auch im teilbaren Raume die Zwischenorte ohne Ende; sie werden aber beherrscht durch das Zusammenhängende in der Bewegung des beweglichen Körpers. II. Wenn der Engel in Bewegung ist, wird seine Substanz auf verschiedene Orte hin gerichtet. Die Substanz der Seele aber wird nicht angewandt oder gerichtet auf die Dinge, die sie denkt. Vielmehr sind die Dinge, die sie denkt, in ihr; und daher paßt der Vergleich nicht. III. In der in sich zusammenhängenden Bewegung ist das Verändertsein kein Teil des Bewegtwerdens, sondern Abschluß. Das Bewegtwerden muß vor dem Bewegtsein oder Verändertsein statthaben. Also muß eine solche Bewegung die Zwischenorte berühren. In der nicht in sich zusammenhängenden Bewegung aber ist das Verändert sein ein Teil, wie die Einheit ein Teil der Zahl ist. Sonach bildet die reine Aufeinanderfolge solch verschiedener Orte ohne Mittelort bereits eine derartige Bewegung; es ist eine Reihe bloßer Einheiten.
