Dritter Artikel. Die Engel haben freien Willen.
a) Das scheint nicht der Fall zu sein. Denn: I. Die Thätigkeit des freien Willens ist: Auswählen. Auswählen nun setzt ein vorhergängiges Beraten und Untersuchen voraus (III Etik.); dies kann aber in den Engeln nicht statthaben, da ihre Vernunft kein Schließen vom einen aufs andere zuläßt. II. Der freie Wille verhält sich gleichmäßig zu den zwei Teilen eines Gegensatzes. Nun hat aber der Engel eine Vernunft, die dies nicht zuläßt; da sie von vornherein im Bereiche des Natürlichen zuverlässig sichere Kenntnis hat und nach dieser Seite hin nicht irren kann. Da nun das Begehren vom Erkennen abhängt, so fehlt die Voraussetzung für die freie Wahl. III. Was in den Engeln an natürlichen Kräften ist, das läßt ein Mehr oder Minder zu; denn die höheren Engel haben eine höher stehende Vernunftkraft. Der freie Wille aber verträgt kein Mehr oder Minder; er ist frei oder nicht frei. Auf der anderen Seite gehört die Freiheit zur Würde des Menschen; also noch weit mehr zur Würde des Engels.
b) Ich antworte, manche Dinge seien nicht aus freiem Willen thätig; sie werden vielmehr von anderen Wesen einfach bewegt und getrieben, wie der Pfeil vom Schützen zum Ziele entsandt wird. Andere Wesen handeln auf Grund einer gewissen Auswahl; aber diese Wahl ist nicht frei. Dies sind die unvernünftigen Tiere. Das Schaf nämlich flieht vor dem Wolfe kraft eines gewissen Urteils, wodurch es überzeugt ist, der Wolf sei ihm schädlich. Dieses Urteil aber ist nicht frei, sondern von der beschränkten Natur eingegeben. Nur wer Vernunft hat, kann nach freiem Urteil handeln. Denn er kennt die allgemeine Natur des Guten und hat somit in sich die Richtschnur, um zu urteilen, was gut sei und was nicht; was minder und mehr gut sei. Wo also die Vernunft einen höheren Grad hat, da ist auch in höherem Grade freies Urteil; und somit haben die Engel in höherem Grade Wahlfreiheit wie die Menschen.
c) I. Aristoteles spricht von der Wahlfreiheit, wie sie im Menschen sich gestaltet. Derselbe Unterschied also, der zwischen der Art und Weise des vernünftigen Erkennens im Engel und im Menschen obwaltet, leitet auch den Unterschied in der Art und Weise der Wahlfreiheit. Der Mensch berät und untersucht vorher. Der Engel entscheidet mit und nach einfacher Kenntnisnahme der Wahrheit. II. Die Kenntnis vollzieht sich gemäß dem, daß das Gekannte im Erkennenden ist. Unvollkommenheit aber bedeutet es für eine Sache, wenn sie nicht hat, was sie haben müßte. Somit wäre der Engel nicht vollendet gemäß seiner Natur, wenn er nicht bestimmte Kenntnis jeglicher Wahrheit hätte, welche er kraft seiner Natur zu erkennen vermag. Die Thätigkeit der Bewegungskraft vollzieht sich nun gemäß dem, daß die Hinneigung zu einer außen stehenden Sache hinstrebt. Es hängt aber die Vollendung eines Dinges nicht von jeder Sache ab, zu welcher es Hinneigung hat; sondern nur von dem höheren Sein. Und somit ist es keine Unvollkommenheit für den Engel, wenn sein Wille nicht bestimmt ist rücksichtlich dessen, was unter ihm steht. Eine Unvollkommenheit aber für ihn wäre es, wenn er im Willen unbestimmt wäre mit Rücksicht auf das, was über ihm ist. III. Die Freiheit läßt kein Mehr und Minder zu, insofern bei ihr die Entfernung des Zwanges berücksichtigt wird; wohl aber im Verhältnisse zum Urteile der Vernunft.
