Vierter Artikel. Im Engel sind nicht zwei sich gegenüberstehende Vermögen wie die Begehrkraft und Streitkraft; die concupiscibilis und irascibilis.
a) Letztere scheinen in den Engeln sich vorzufinden. Denn: I. Dionysius sagt (4. de div. nom.): „In den Dämonen ist vernunftlose Wut und unsinnige Gier.“ Die Natur der Engel und Dämonen aber ist ein und dieselbe. II. Liebe und Freude sind in der Begehrkraft; Zorn, Hoffnung, Furcht in der Streitkraft. Das alles aber wird in der Schrift von Engeln und Dämonen ausgesagt. III. Einige Tugenden haben ihren Sitz in diesen beiden Kräften; wie die Liebe und Mäßigkeit in der Begehrkraft, die Hoffnung und Stärke in der Streitkraft. Diese Tugenden aber sind in den Engeln. Auf der anderen Seite sagt Aristoteles (III. de anima), diese zwei Vermögen seien nur im sinnlichen Teile. Also sind sie nicht in den Engeln.
b) Ich antworte, nur das sinnliche Begehrungsvermögen werde geteilt in eine Begehrkraft und eine Streitkraft, eine concuscibilis et irascibilis; nicht der geistige Wille. Der Grund davon ist, daß die Unterschiede in den Vermögen sich nicht richten nach der stofflichen subjektiven Verschiedenheit der Gegenstände, denen die Vermögen zugewendet sind; sondern nur nach der formalen Verschiedenheit, welche in der Auffassung der Vernunft gründet. Hat also ein Vermögen zum Gegenstande eine allgemeine Form oder Eigenschaft, so begründen die Unterabteilungen dieser Form oder Eigenschaft keine neue Vermögen. Der eigene Gegenstand der Sehkraft z. B. ist die Farbe im allgemeinen; und damit ist ausgesprochen, daß das Weiße oder Schwarze in der Sehkraft einen Unterschied nicht mehr begründen. Bestände aber für das Weiße als Weißes ein eigenes Vermögen, so müßte für das Schwarze als solches ebenfalls eines sein. Nun ist aber der Gegenstand des Willens nach der allgemeinen Natur des Guten das Gute an sich. Für etwas somit, was nicht ein Gut ist und nicht als solches erscheint, kann es kein Begehren geben. Also keine besonderen Güter können einen Unterschied im Vermögen des vernünftigen Willens begründen; wie das beim sinnlichen Begehrungsvermögen der Fall, das da zum Gegenstande hat nicht das Gute im allgemeinen, sondern das beschränkte Gute, dem ein anderes gegenübersteht. Da also in den Engeln nur Vernunft ist als Erkenntnisvermögen und kein sinnlicher Teil, so ist auch da nur der unteilbare vernünftige Wille.
c) I. Wut und Begier werden von den Dämonen nur figürlich ausgesagt, wie auch Gott Zorn z. B. zugeschrieben wird. II. Liebe und Freude, insofern sie Leidenschaften sind, existieren in der Begehrkraft; insoweit sie einen einfachen Willensakt ausdrücken, sind sie im vernünftigen Willen. Da heißt „lieben“ nichts Anderes, als einem Gutes wollen, und sich „freuen“ heißt ruhen in einem Gute, was man hat. Nichts davon wird über die Engel ausgesagt, insoweit es Leidenschaft ist, wie 9. de civ. Dei cap. 5. es heißt. III. Die Liebe als Tugend ist nicht in der Begehrkraft, sondern im vernünftigen Willen; denn der Gegenstand der Begehrkraft ist das Gute, was den Sinn ergötzt. Das aber ist nicht das güttüche Gut, der Gegenstand der heiligen Liebe. Ebenso ist auch die Hoffnung als Tugend nicht iw der Streit- oder Abwehrkraft; denn deren Gegenstand ist etwas Schwieriges, wie dies die Sinne auffassen. Die Hoffnung aber geht auf die Schwierigkeit, Gott zu besitzen. Die Mäßigkeit, soweit sie eine menschliche Tugend ist, regelt die Begierden nach dem, was für die Sinne ergötzlich ist; und deshalb ist sie in der Begehrkraft. Ebenso ist es der Fall mit der Stärke, die in der Streitkraft ihren Sitz hat, weil sie die Furcht, Kühnheit etc. regelt. In dieser Weise aber sind diese Tugenden nicht in den Engeln, die keine sinnlichen Leidenschaften zu regeln haben. Da wird vielmehr Mäßigkeit dies genannt, daß sie nach dem Maße des göttlichen Willens ihren Willen darbieten; und Stärke, daß sie den göttlichen Willen ohne Schranken erfüllen; was alles vermittelst des geistigen Willens geschieht.
