Zweiter Artikel. Vermittelst der Kenntnis von den stofflichen Dingen kann die Vernunft zur Kenntnis der inneren Natur der stofflichen Substanzen nicht gelangen.
a) Dem scheinen entgegen zu stehen: I. Die Worte des Dionysius (1. de cael. hier.): „Nicht ist es möglich, daß der menschliche Geist aufgerichtet werde zur Betrachtung jener himmlischen da oben lebenden Substanzen, wenn er sich nicht von den sinnlichen Dingen wie an der Hand führen läßt.“ Also können die letzteren zur Kenntnis der stofflosen Substanzen führen. II. Die Wissenschaft ist in der Vernunft. Wissenschaften und Begriffsbestimmungen aber beschäftigen sich mit den stofflosen Substanzen; wie z.B. Damascenus (2. de fide orth. 3.) den Engel definiert und in den theologischen und philosophischen Wissenschaften über die Engel Manches gelehrt wird. III. Die menschliche Seele ist in der „Art“ der stofflosen Substanzen inbegriffen. Die menschliche Seele aber kann erkannt werden vermittelst ihrer Thätigkeit, womit sie Stoffliches versteht. Also können auch alle stofflosen Substanzen erkannt werden durch das, was sie in das Stoffliche hinein wirken. IV. Jene Ursache allein kann vermittelst ihrer Wirkungen nicht begriffen werden, welche von denselben unendlich entfernt ist. Das ist aber nur Gott eigen. Auf der anderen Seite sagt Dionysius (I. de div. nom.): „Vermittelst des Sinnlichen kann das Geistige, vermittelst des Zusammengesetzten kann das Einfache, vermittelst des Körperlichen kann das Unkörperliche nicht erfaßt werden.“
b) Ich antworte, daß nach Averroës (3. de anima com. 36.) Avempace annahm, man könne vermittelst des Stofflichen gemäß den wahren Principien zur wirklichen Erfassung der Substanz stoffloser Wesen gelangen. Denn da unsere Vernunft das Wesen im Stoffe auffaßt, indem sie es loslöst vom Stofflichen, so bleibt in diesem so losgelöstem Wesen immer noch etwas Stoffliches. Wird von dem stofflichen Reste nun wieder das Allgemeine losgelöst, so bleibt wieder etwas Stoff noch darin, und geht das so weiter, so können wir am Ende die reine ganz stofflofe Substanz auffassen und erkennen; d. h. eine Substanz, wo nichts Stoffliches sich vorfindet. Das würde Sinn haben, wenn, wie Plato meint, die stofflosen Substanzen das Wesen der „Arten“ und Gattungen hier im Stoffe bildeten. Sind aber die stofflosen Substanzen durchaus verschiedenen Wesens wie die stofflichen, auf welche unsere Vernunft ihrer Natur nach gerichtet ist; so mag die Vernunft von den stofflichen Substanzen solange loslösen wie sie will, sie kommt nicht zu einer Ähnlichkeit der stofflosen Substanzen. Also können wir vermittelst des Stoffes niemals vollkommen das Stofflose erkennen.
c) I. Zu etwelcher Kenntnis der rein stofflosen Dinge können die stofflichen führen; nicht aber zu einer vollkommenen, welche vom Wesen der stofflosen Substanzen getragen würde. Die vom Stoffe genommenen Ähnlichkeiten jedoch sind äußerst unähnlich, wie Dionysius sagt. (2. de cael. hier.) II. Über die höheren Dinge handeln die Wissenschaften meist auf dem Wege des Entfernens der Unvollkommenheiten; wie Aristoteles (1. de caelo) die Himmelskörper uns zugänglich macht, indem er die Eigentümlichkeiten der Natur der niederen irdischen Körper von ihnen entfernt. Ebenso erkennen wir auf demselben Wege etwas von den reinen Geistern. III. Die menschliche Seele wird durch ihr Erkennen, also durch ihre eigene Thätigkeit erkannt, die ihre Vollendung ist und vollkommen die Kraft und den Seinscharakter der Seele zeigt. Dadurch können wir aber nicht die Natur und die Kraft anderer Substanzen, der stofflosen, welche von der Seele wesentlich verschieden sind, erkennen. IV. Die stofflosen Substanzen haben zwar in ihrem natürlichen Sein nichts, weder in der „Art“ noch in der Gattung, gemein mit den stofflichen; denn in ihnen ist keine Zusammensetzung von Stoff und Form. Es wird aber doch von beiden Arten Substanzen wahrhaft ausgesagt, sie seien „Substanz“. Denn auch in den stofflosen ist ihr Wesen nicht ihr wirkliches Sein; sie kommen also alle beide überein in ggenere logico. Gott aber ist in keiner „Art“, die vom Geschöpfe ausgesagt wird, inbegriffen. Keine „Art“, weder Substanz noch Vermögen noch Anderes, gilt in gleicher Weise gemeinsam von Ihm und von der Kreatur. (Kap. 3, Art. 5.) Also kann über den Engel noch etwas Positives erkannt werden vermittelst des Stoffes; wenn auch nicht über sein Gattungswesen, so doch insofern von ihm so gut wie vom Stofflichen die allgemeine Aussage der „Substanz“ gilt. Über Gott aber kann nichts positiv Bejahendes ausgesagt werden.
