Erster Artikel. Die menschliche Seele kann während des irdischen Lebens die rein geistigen Substanzen nicht vermittelst der Wesensform derselben oder vermittelst einer deren Natur entsprechenden Ähnlichkeit erkennen.
a) Dagegen sagt: I. Augustin (9. de Trin. 3): „Wie der vernünftige Geist von den körperlichen Dingen Kenntnis nimmt vermittelst der Sinne des Körpers; so erkennt er die unkörperlichen Dinge durch sich selbst.“ II. Das Ähnliche wird erkannt durch Ähnliches. Der menschliche Geist aber ist den reinen Geistern ähnlicher wie den stofflichen Dingen. Also erkennt er in weit höherem Grade das an sich Stofflose. III. Wenn auch was im höchsten Grade sinnlich wahrnehmbar ist, wie der stärkste Ton, das Sonnenlicht etc. nicht vornehmlich von uns empfunden wird, weil das Organ dadurch verdorben wird; so kann dies doch nicht von der Vernunft gesagt werden, die keineswegs die Thätigkeit eines Organs ist. Was also am meisten erkennbar ist, das muß auch vorzugsweise von uns erkannt werden. Die stofflichen Substanzen aber sind gar nicht an sich thatsächlich erkennbare, sondern müssen erst vom Stoffe losgelöst und so erkennbar werden. Also sind die an sich stofflosen Substanzen auch in höherem Grade erkennbar; und sie müssen deshalb vorzugsweise von uns verstanden werden. IV. Averroës (2 Metaph. com. 1.) sagt: „Wenn die vom Stoffe fernen Substanzen von uns nicht verstanden würden, so hätte die Natur nutzlos gewirkt; denn sie hätte jenes, was seiner Natur nach in sich als verstanden dasteht, so gemacht, daß es von keinem verstanden wäre.“ Nichts aber ist nutzlos in der Natur. Also die stofflosen Substanzen werden von uns verstanden. V. Unser Gesicht kann alle Körper sehen, seien es die höheren der Verwesung nicht unterworfenen, seien es die irdischen, welche entstehen und vergehen. Also kann die Vernunft in ihrem Bereiche jedenfalls, was der Sinn kann. Sie kann die stofflosen Substanzen ebensogut verstehen wie die stofflichen. Auf der anderen Seite heißt es Sap. 9, 16.: „Was im Himmel ist, wer will dies durchforschen?“ Die Engelsubstanzen aber sind im Himmel nach Matth. 18, 10.: „Ihre Engel schauen im Himmel immer das Antlitz meines Vaters, der im Himmel ist.“
b) Ich antworte; nach Plato werden die stofflosen Substanzen, die „Ideen“ nicht nur von uns verstanden, sondern sie sind der erste und leitende Gegenstand unserer Kenntnis. Die von diesen Substanzen herrührende Kenntnis wird dann auf die stofflichen Dinge angewandt, insofern mit der Vernunft die Phantasie und der Sinn verbunden erscheint. Je mehr also die Vernunft rein wird, desto mehr faßt sie die Wahrheit des stofflosen Erkennbaren auf. Nach Aristoteles aber ist es der Natur unserer Vernunft eigen, die Wesenheiten der natürlichen stofflichen Dinge zum Gegenstande zu haben; so daß sie nichts thatsächlich versteht, außer insoweit sie sich zu den Phantasiebildern wendet. Da nun die stofflosen Substanzen den Sinnen und der Einbildungskraft nicht zugänglich sind, so können wir sie nicht an erster Stelle und auf Grund ihres Wesens oder kraft der angemessenen Ähnlichkeit mit diesem verstehen. Averroës aber (Comm. 3. de anima. 36.) nimmt an, der Mensch könne am Ende seines Lebens dazu gelangen, daß er die vom Stoffe getrennten Substanzen verstehe. Und zwar geschehe dies durch die Verbindung mit einer von uns getrennten Substanz, die er „einwirkende Vernunft“ nennt. Diese Substanz nämlich verstehe als eine vom Stoffe getrennte vermittelst ihrer Natur die stofflosen Substanzen. Wenn sie also mit uns so verbunden sein wird, daß wir durch sie, also durch diese „einwirkende Vernunft“, verstehen können, so werden wir dann ebensogut die stofflosen Substanzen verstehen wie wir jetzt die im Stoffe befindlichen vermittelst der „möglichen Vernunft“ auffassen. Diese Verbindung aber mit seiner stofflosen für sich bestehenden „einwirkenden Vernunft“ stellt er sich so vor. Da wir nämlich verstehen einerseits durch die „einwirkende Vernunft“, andererseits durch die Gegenstände unserer Betrachtung, wie z. B. wenn wir die Schlußfolgerungen verstehen durch die bereits erkannten und betrachteten Principien, so muß die „einwirkende Vernunft“ in Beziehung stehen zu den bereits verstandenen und betrachteten Gegenständen, mit deren Hilfe wir Anderes verstehen, entweder wie die hauptsächliche Ursache zu ihren Werkzeugen oder wie die bestimmende Form zum Stoffe. Denn in dieser doppelten Weise kommt zwei Principien es zu, ein einziges Wirken zu verursachen: der Hauptursache und dem Werkzeuge wie das Sägen dem Künstler und der Säge; der Form aber und dem Stoffe als dem Subjekte der Form, wie das Wärmen zukommt der Wärme und dem Feuer. In beiderseitiger Weise aber steht nun die „einwirkende Vernunft“ in Beziehung zu den bereits betrachteten erkennbaren Gegenständen, die zur Kenntnis anderer Wahrheiten dienen: nämlich wie die Vollendung zum Vervollkommnungsfähigen; und wie die bestimmende Thätigkeit zum Vermögen. Zugleich nun werden in einem Sein aufgenommen, was vollendet worden ist und die Vollendung; wie z. B. das thatsächlich sichtbar Gewordene und das Licht als das, was sichtbar gemacht hat und somit die Vollendung des Sichtbaren ist, zugleich in die Pupille aufgenommen werden. Zugleich also tritt in die „mögliche Vernunft“ das bereits Betrachtete und Erkannte sowie als vollendende die „einwirkende Vernunft“. Und je mehr betrachtete und erkannte Gegenstände in uns sind, desto vollendeter ist die Verbindung der „einwirkenden Vernunft“ mit uns; so daß, wenn wir alles Erkennbare als betrachteten Gegenstand erkennen werden, die „einwirkende Vernunft“ in vollkommener Weise mit uns verbunden sein wird und wir dann alle Dinge, stoffliche sowohl wie stofflose, erkennen werden. Und darin setzt nun Averroës die letzte menschliche Glückseligkeit. Dabei kommt es hier nicht darauf an, ob in jenem glückseligen Zustande die „mögliche Vernunft“ durch die „einwirkende“ die stofflosen Substanzen erkennen wird; wie er meint; — oder ob, wie er dem Alexander Aphrodisäus unterschiebt, die „mögliche Vernunft“ dann vergehen wird und also der Mensch nur durch die „einwirkende“ schauen wird. Diese Meinung aber kann nicht bestehen. Denn: 1. Ist die „einwirkende Vernunft“ eine von uns getrennte stofflose Substanz, so können wir unmöglich durch sie als durch unsere bildende Form verstehen; denn das, wodurch die thätige Ursache thätig ist, das ist nichts Anderes wie die Form und die Bethätigung des Thätigseienden selber, da jedes Wirkende nur wirkt, insoweit es thatsächlich ist. Unmöglich kann also dies getrennt sein vom Wirkenden oder Thätigen. 2. Nach der auseinandergesetzten Weise wird die „einwirkende Vernunft“, falls sie eine vom Stoffe durchaus getrennte Substanz ist, nicht mit uns eins gemäß und in ihrer Substanz; sondern ihr Licht allein wird uns mitgeteilt, soweit dasselbe die betrachteten Gegenstände beleuchtet. Das genügt aber nicht dazu, daß wir nun die Thätigkeit haben, welche der Natur dieser „einwirkenden Vernunft“ zueignet, daß wir nämlich die stofflosen Substanzen sehen können. So wird durchaus nicht, wenn wir die von der Sonne beleuchteten Farben sehen, die Substanz der Sonne mit uns eins, so daß wir nun thun könnten, was die Sonne ihrer Natur nach thut; nur das Licht der Sonne verbindet sich mit uns für das Sehen der Farben. 3. Averroës und seine Anhänger nehmen nicht an, daß die „einwirkende Vernunft“ ganz und gar mit uns verbunden werde gemäß einem Erkennbaren oder zwei; sondern gemäß allem im Stoffe Erkennbarem. Aber alle diese erkennbaren stofflichen Dinge zusammen reichen nicht an die Kraft der .,einwirkenden Vernunft“ heran; weil es weit mehr ist, eine stofflose Substanz zu erkennen wie alles Stoffliche zusammen. Also auch zugegeben, daß alles Stoffliche verstanden ist, so würde doch die „einwirkende Vernunft“ nicht so vollkommen mit uns verbunden werden, daß wir durch sie die stofflosen Substanzen erkannten. 4. Verstehen alles Stoffliche kommt kaum Einem in der Welt zu; also keiner oder höchst wenige kämen in diesem Falle zur Glückseligkeit. Dagegen sagt Aristoteles (1 Ethic. 9.): „Die Glückseligkeit ist ein gemeinsames Gut, das allen zukommen kann, wenn sie nicht der Tugend bar sind.“ 5. Aristoteles schreibt ausdrücklich (1 Ethic. 10.): „Die Glückseligkeit ist ein Thätigsein gemäß vollendeter Tugend;“ und nachdem er viele Tugenden aufgezählt, schließt er, daß die letzte Glückseligkeit des Menschen besteht in der Betrachtung der höchsten Wahrheiten gemäß der Tugend der Weisheit, die er (6 Ethic. 7.) als die erste von allen beschaulichen Arten von Wissenschaft hervorgehoben hatte. Also ist ganz offenbar, daß Aristoteles die letzte Glückseligkeit des Menschen in die Betrachtung der stofflosen Substanzen setzt, inwieweit diese erworben werden kann durch die beschaulichen Wissenschaften; nicht aber inwieweit die „einwirkende Vernunft“ als stofflose Substanz, oder vielmehr als Hirngespinst des Averroës und seiner Anhänger eins wird mit der Vernunft. 6. Die „einwirkende“ Vernunft ist nach Aristoteles (3. de anima vgl. Kap. 79, Art. 4) ein Vermögen der Seele. Sowohl sie also wie die „mögliche“ erstrecken sich für die Zeit dieses Erdenlebens auf jenes Stoffliche allein, was die „einwirkende“ Vernunft erkennbar macht und was die „mögliche“ demgemäß versteht. Weder also nach der „einwirkenden“ noch nach der „möglichen“ Vernunft können wir für jetzt die stofflosen Substanzen verstehen, wie sie an sich in ihrem Wesen sind.
c) I. Aus jener Stelle Augustins geht hervor, daß jenes, was unser Geist von den stofflosen Substanzen kennt, er durch sich selbst erkennen kann. Und das ist solchergestalt wahr, daß Aristoteles (1. de anima) sagt, die Wissenschaft von der Seele sei gewissermaßen ein Princip für die Kenntnis der stofflosen Substanzen. Dadurch nämlich daß unsere Seele sich selbst kennt, gelangt sie dazu, etwelche Kenntnis zu haben von den unkörperlichen Substanzen; nicht aber als ob sie dieselben vollkommen und ohne weiteres in sich selbst erkannte. II. Die Ähnlichkeit in der Natur des Erkennenden ist keine hinreichende Ursache für die Kenntnis; sonst müßte man der Meinung des Empedokles sein, daß die Seele von der Natur aller Dinge etwas in sich enthalte, damit sie Alles erkenne. Vielmehr wird zum Erkennen erfordert, daß die Ähnlichkeit des erkannten Gegenstandes im Erkennenden sei, nämlich als die Erkenntnisform des letzteren. Unsere Vernunft aber ist von Natur aus geeignet, von den Ähnlichkeiten der stofflichen Dinge, insoweit sie vom Stofflichen losgelöst sind, geformt zu werden; und deshalb erkennt sie weit mehr Stoffliches wie Stoffloses. III. Der Gegenstand muß in einem gewissen Verhältnisse stehen zur Erkenntniskraft. Nicht also allein, weil sie das Organ verderben, werden die am meisten sinnlich wahrnehmbaren Dinge von den Sinnen nicht erreicht; sondern weil diese Dinge außer allem Verhältnisse stehen mit Rücksicht auf die Sinne. Und so sind die stofflichen Substanzen in ihrer Natur außer allem Verhältnisse zum natürlichen Zustande unserer Vernunft in diesem Leben. IV. Die Worte des Averroës sind in vielfacher Weise falsch: Zuvörderst folgt daraus, daß die stofflosen Substanzen von uns nicht verstanden werden, in keiner Weise, daß sie von keiner anderen Vernunft verstanden werden. Denn sie verstehen sich gegenseitig; und jede versteht sich selbst. Dann ist es nicht der Zweck dieser Substanzen, daß sie von uns verstanden werden. Nur das ist aber nutzlos, was seinen Zweck verfehlt. V. In derselben Weise erkennt der Sinn die höheren und niedrigeren Körper; nämlich durch die Änderung des Organs vom sinnlich Wahrnehmbaren aus. Nicht aber in derselben Weise würden von uns die stofflosen und die stofflichen Substanzen verstanden: diese nämlich durch das Loslösen des Allgemeinen von den einzelnen Phantasiebildern; jene aber nicht in dieser Weise, denn es entsprechen ihnen keine Phantasiebilder.
