Dritter Artikel. Gott ist für die menschliche Vernunft nicht das Ersterkannte.
a) Es scheint, daß Gott für uns das Erstgekannte sei. Denn: I. Das, worin wir alles Andere erkennen und wonach wir alles Andere beurteilen, ist das Ersterkannte; wie vom Auge das Licht zuerst gesehen wird und nach Maßgabe des Lichtes alles Andere. „Alles aber erkennen wir,“ sagt Augustin (11. de Civ. cap. 27; de vera Relig. cap. 2.), „im Lichte der ersten Wahrheit und vermittelst desselben urteilen wir über Alles.“ Also ist Gott das von uns zuerst Erkannte. II. Gott ist die Ursache all unserer Kenntnis; denn „Er ist das wahre Licht, welches erleuchtet jeden Menschen, der in die Welt kommt“. (Joh. 1, 9.) Ist also etwas Anderes erkennbar, so ist dies um so mehr Gott, dessentwegen es erkennbar ist. Also ist Er unser erster und klarster Erkenntnisgegenstand. III. Im Bilde wird zuerst das erkannt, was im Bilde vorgestellt ist. In unserem Geiste aber ist das Bild Gottes, wie Augustin (12. de Trin. 5.) auseinandersetzt. Also was in unserem Geiste zuerst erkannt wird, das ist Gott. Auf der anderen Seite aber heißt es Joh. 1, 18.: „Niemand hat je Gott geschaut.“
b) Ich antworte; viel weniger wie die stofflosen Substanzen kann unser Geist die Substanz des Ungeschaffenen erkennen. Also ist Gott nicht das Ersterkannte in uns, sondern „durch die sichtbaren Kreaturen gelangen wir (in etwa) zur Anerkennung des Daseins der unsichtbaren Dinge Gottes“. (Röm. 1, 20.) Das von uns zuerst Erkannte ist das Wesen, soweit es dem stofflichen Dinge angehört und im Stoffe ist. (Vgl. oben.)
c) I. Wir erkennen alles im Lichte der ersten Wahrheit und urteilen, danach, insofern das Licht unserer Vernunft, sei es das natürliche sei es das der Gnade, nichts Anderes als ein uns eingeprägter Abglanz der ersten Wahrheit ist. (Vgl. Kap. 12, Art. 2.) Da also das Licht unserer Vernunft selber sich nicht zu unserer Vernunft verhält wie das, was verstanden wird, sondern wie das, wodurch verstanden wird; so ist um so weniger Gott das von uns zuerst Erkannte. II. „Um dessentwillen etwas ist, das ist dies um so mehr;“ hat Wahrheit, wenn es sich um dieselbe Rangstufe oder denselben Seinskreis handelt. (Kap. 87, Art. 2 ad 3.) Wegen Gottes werden aber andere Dinge erkannt: nicht weil Gott das zuerst Erkannte, also im Kreise des Erkannten einbegriffen ist; sondern weil Er die erste wirkende Urfache der Erkenntniskraft ist. III. Das Bild Gottes in uns ist unvollkommen; also folgt das Gewollte nicht. Wäre es vollkommen wie der Sohn in Gott das vollkommene Bild des Vaters ist, so würde auch Gott zuerst erkannt werden.
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