Zweiter Artikel. Der erste Mensch hatte Leidenschaften im sinnlichen Teile.
a) Dem widerspricht: I. Gal. 5, 17.: „Das Fleisch begehrt gegen den Geist.“ Da nun eben dies der Leidenschaften wegen geschieht, so waren in Adam keine Leidenschaften, wie auch kein Begehren gegen den Geist da war. II. Die Seele Adams war edler wie der Leib. Der Leib aber war dem Leiden nicht zugänglich. III. Die Moraltugend hat zum Zwecke, die Leidenschaften zu unterdrücken. In Adam war in vollkommener Weise die Moraltugend. Also schloß sie die Leidenschaften aus Auf der anderen Seite sagt Augustin (14. de civ. Dei 10.): „In ihnen war unerschütterte, immer heitere Liebe Gottes und einige andere Leidenschaften.“
b) Ich antworte; die Leidenschaften der Seele sind im sinnlichen Begehrungsvermögen, dessen Gegenstand das Gute und das Böse ist. Und sonach richten sich einige Leidenschaften der Seele auf das, was ein Gut ist, wie die Liebe, die Freude; und andere auf das, was böse oder ein Übel ist, wie Furcht und Schmerz. Da nun im ersten Naturzustande kein Übel es gab oder drohte und kein Gut fern war, dessen Besitz für jene Zeit der Wille hätte wünschen können; so waren alle jene Leidenschaften, die auf das Übel sich richten, keineswegs in Adam, wie die Furcht und der Schmerz u. dgl. Ähnlich waren auch jene Leidenschaften nicht im Menschen, welche auf ein Gut sich richten, das man nicht hat, jedoch haben sollte, wie die brennende Begierde. Solche Leidenschaften aber, welche das gegenwärtige Gut zum Gegenstände haben, wie Liebe und Freude; oder die sich auf ein Gut beziehen, welches man seiner Zeit haben soll, wie Verlangen und nicht betrübende Hoffnung, fanden sich im Zustande der Unschuld; anders jedoch wie bei uns. Denn in uns ist das sinnliche BegehrungsVermögen, wo die Leidenschaften bestehen, nicht durchaus unterthan der Vernunft, und somit kommen sie nicht selten dem Urteile der Vernunft zuvor und hindern es; bisweilen jedoch folgen sie diesem Urteile, insofern die Sinne mit ihrem Begehren der Vernunft gehorchen. Im Stande der Unschuld jedoch gehorchte der Sinn immer und durchaus der Vernunft; also folgten die leidenschaftlichen Bewegungen dem Urteile der letzteren.
c) I. Das Fleisch begehrt gegen den Geist, insofern die Leidenschaften der Vernunft widersprechen; was damals nicht der Fall war. II. Der Leib war dem Leiden nicht zugänglich, insofern dieses den natürlichen Verhältnissen nicht entgegen ist; und so war auch die Seele dem Leiden nicht zugänglich, insoweit die Leidenschaften das Urteil der Vernunft stören. III. Die Moraltugend in ihrer Vollkommenheit schließt die Leidenschaften nicht aus, sondern regelt sie.
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