Vierter Artikel. Der Grad der verdienstlichkeit in den werken Adams.
a) Es scheint, daß die Werke des ersten Menschen weniger verdienstvoll waren, wie die unsrigen. Denn: I. Die Gnade ist um so reichlicher, je größer das Bedürfnis. Unser Bedürfnis aber ist größer. Also haben wir mehr Gnade und somit wirksameres Verdienst. II. Zum Verdienst gehört ein gewisser Kampf, wie Paulus sagt (2. Tim. 2, 5.): „Es wird Niemand gekrönt, der nicht gehörig gekämpft hat.“ Unser Kampf aber ist umfassender wie der des ersten Menschen. Also ist unser Verdienst größer. III. Petrus Lombardus (24. dist. 2. Sept.) sagt: „Der erste Mensch hätte kein Verdienst gehabt, wenn er der Versuchung widerstanden hätte.“ Wir haben aber Verdienst, wenn wir widerstehen. Auf der anderen Seite wäre dann der Mensch nach der Sünde in einer besseren Lage wie vorher.
b) Ich antworte, der Umfang des Verdienstes müsse ermessen werden: 1. aus der Wurzel der Liebe und der Gnade; und solcher Umfang entspricht der Hauptbelohnung der ewigen Anschauung Gottes. Denn wer aus höherer Liebe wirkt, der wirkt so, daß er vollkommener im Besitze Gottes sei. Dann wird 2. der Umfang und die Bedeutung des Verdienstes bemessen nach dem Umfange und der Bedeutung des Werkes und so wieder in doppelter Weise, je nachdem man die Bedeutung des Werkes an sich erwägt oder mit Rücksicht auf den, der es vollbringt. So hat die Witwe im Evangelium Geringeres gegeben mit ihren zwei Denaren wie die anderen, wenn die Summe allein für sich erwogen wird; sie hat aber mehr gegeben wie die anderen, wenn die Summe mit Rücksicht auf die Verhältnisse der Geberin erwogen wirb. Dieser zweite Umfang des Verdienstes entspricht nun der Nebenbelohnung, welche besteht in der Freude über das geschaffene Gut. Da also im Stande der Unschuld die Gnade reichlicher gewesen wäre, insofern sie kein Hindernis in der menschlichen Natur gefunden hätte; so war nach dieser Seite das Wirken verdienstvoller als es nach der Sünde ist. Auch waren die Werke der ersten Menschen wirksamer in ihrem Verdienen, wenn das Gewirkte an sich betrachtet wird; denn da ihre Tugenden größer waren, hätten sie auch größere Tugendwerke verrichtet. Wird jedoch der Umfang des Verdienstes erwogen mit Rücksicht auf den Zustand jener, die verdienen, so ist dieser nach der Sünde größer und das Verdienst wirksamer wie vorher wegen der Schwäche des Menschen. Denn ein kleines Werk übersteigt mehr die Kräfte dessen, der es unter Schwierigkeiten vollbringt; als ein großes die Kräfte dessen, der es mit Leichtigkeit thut.
c) I.Für mehrere Dinge wohl bedarf der Mensch nach der Sünde des Gnadenbeistandes; aber nicht in höherem Grade. Denn auch vor der Sünde mußte er die Gnade haben, wollte er anders die ewige Seligkeit erreichen. Jetzt aber bedarf er deren auch für die Vergebung der Sünden und für das Aufrechtstehen inmitten der Schwäche und Ohnmacht. II. Schwierigkeit und Kampf vermehren den Umfang des Verdienstes mit Rücksicht auf die Person dessen, der verdient. Und es ist dies ein Zeichen der Bereitwilligkeit des Willens, daß er sich an dem versucht, was ihm schwer ist. Diese Bereitwilligkeit des Willens aber kommt von der Größe der Liebe. Es kann sich jedoch treffen, daß jemand mit demselben Grade der Bereitwilligkeit ein leichtes Werk macht wie ein anderer ein schweres; weil er eben bereit ist, auch das zu thun, was ihm schwer sein würde. Zudem hat die thatsächliche Schwierigkeit, insoweit sie aus der Strafe fließt, auch den Charakter der Genugthuung für die Sünde. III. Der Versuchung widerstehen war für den ersten Menschen kein Verdienst nach der Meinung jener, die in ihm keine Gnade annehmen; wie auch jetzt nichts verdienstvoll ist, was nicht von der Gnade ausgeht. Nur darin ist der Unterschied, daß im ersten Naturzustande des Menschen nichts innerlich zum Bösen trieb; und somit es für den Menschen damals leichter gewesen wäre, auch ohne Gnade Vielem zu widerstehen.
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