Erster Artikel. Die Beschaffenheit des Körpers der Kinder.
a) Es scheint, die Kinder hätten im Stande der Unschuld allsobald den vollen Gebrauch ihrer Glieder gehabt. Denn: I. Augustin (1. de bapt. parvul. c. 38.) sagt von der Schwäche des Kindesalters: „Der Ohnmacht des Geistes ist entsprechend diese Ohnmacht des Körpers. Im Stande der Unschuld aber bestand keine Schwäche des Geistes. II: Viele Tiere haben gleich bei ihrer Geburt den vollständigen Gebrauch ihrer Glieder. Also ziemte sich dies auch für den Menschen; und erst von der Sünde kommt als Strafe die betreffende Schwäche. III. Wenn die Kinder nicht den vollen Gebrauch ihrer Glieder hatten, so konnten sie Manches, was sie gewollt hätten, nicht erreichen; was sie betrüben mußte. Eine Betrübnis aber wäre in jenem Zustande nicht gewesen. IV. Der Mangel an Kraft im Greisenalter scheint der Ohnmacht des Kindesalters zu entsprechen. Der erstere aber wäre im Paradiese nichtgewesen; also auch nicht die letztere. Auf der anderen Seite ist Alles, was der Erzeugung unterliegt, zuerst unvollkommen und wird nur allmählich vollkommen. Die Kinder aber wären im Stande der Unschuld durch Zeugung zur Welt gekommen. Dem Umfange also und der Kraft des Körpers nach wären sie unvollkommen gewesen.
b) Ich antworte: Was über die Natur hinausgeht, das halten wir allein vermittelst des Glaubens fest und erkennen da die Autorität desjenjgen an, dem wir glauben. Worin also nichts durch göttliche Autorität offenbart worden; darin müssen wir uns gemäß der Natur ein Urteil bilden. Das nun aber ist ganz naturgemäß, daß die Kinder nach ihrer Geburt nicht gleich die hinreichende Kraft besitzen, um ihre Glieder frei zu bewegen. Denn der Mensch hat gemäß seiner Natur ein dem Umfange nach verhältnismäßig größeres Gehirn wie die Tiere. Sonach ist es ganz natürlich, daß, weil im Kinde das Gehirn im höchsten Grade feucht ist, die Nerven, welche die Werkzeuge der Bewegung sind, nicht hinlängliche Härte und Kraft besitzen, um die Glieder zu bewegen. Auf der anderen Seite aber zweifelt kein Katholik daran, daß unter dem Einflüsse göttlicher Kraft die eben geborenen Kinder alsbald die Kraft haben können, ihre Glieder frei zu bewegen. Nun steht es durch Ekkle. 7, 30. fest, daß „Gott den Menschen gerade und aufrecht machte“, d. h. nach Augustin (14. de Civ. Dei 11.) in vollkommener Unterwürfigkeit des Leibes gegenüber der Seele. Sowie also im Urzustände in den Gliedern des Menschen nichts bestehen konnte, was dem recht geordneten Willen des Menschen widersprochen hätte; so konnten auch die Glieder des Menschen in ihrer Thätigkeit dem Willen des Menschen in nichts mangeln. Der Wille des Menschen aber ist demgemäß recht geordnet, daß er auf jene Thätigkeiten sich richtet, welcke seiner Natur zukömmlich sind. Es sind dies nun nicht dieselben Thätigkeiten, die dem Kinde und die dem Manne oder dem Greise zukommen. So muß also gesagt werden, die Kinder würden, eben geboren, die Kraft zu den ihrem Alter zukömmlichen Thätigkeiten im Urzustände gehabt haben; also z. B. zum Einsaugen der Milch u. dgl.
c) I. Augustin spricht von den Schwächen des jetzigen Kindesalters mit Rücksicht auf die zukömmlichen Thätigkeiten. Er sagt nämlich kurz vorher: „daß sie die Mutterbrust von sich werfen und vielmehr hungernd zu weinen Vermögen, als ihre Nahrung zu saugen.“ II. Daß Tiere gleich nach der Geburt ihre Glieder gebrauchen können,kommt nicht von der Würde ihres Seins, sondern von der trockenen Beschaffenheit ihres Gehirns; denn die ihnen eigene und entsprechende Thätigkeit ist äußerst unvollkommen und eine geringe Kraft genügt somit dazu. III. Die Kinder würden nichts begehrt haben als was bei geregeltem Willen ihnen zukömmlich gewesen wäre gemäß ihrem Alter. IV. Der Mensch wäre im Urzustände wohl erzeugt, aber nicht aufgelöst worden. Deshalb konnten im Kindesalter Mängel sein, welche mit der Natur der Zeugung zusammenhängen; aber die Mängel des Greisenalters waren nicht in ihm.
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