Erster Artikel. Alle Menschen wären in der Urgerechtigkeit geboren worden.
a) Dementgegen schreibt: I. Hugo von S. Viktor (I. de Sacr. part. 6 c. 24.): „Der erste Mensch hätte wohl auch im Zustande der Unschuld gezeugt und die Kinder wären ohne Sünde gewesen; aber nicht Erben der väterlichen Gerechtigkeit wären sie geworden.“ II. „Die Gerechtigkeit ist begründet auf der Gnade,“ sagt der Apostel.(Röm. 5.) Die Gnade aber wird nicht zugleich mit der Natur mitgeteilt, sondern von Gott allein unmittelbar verliehen; wäre sie doch sonst etwas Natürliches. III. Die Gerechtigkeit ist in der Seele. Die Seele aber wird nicht fortgepflanzt. Also würde die Gerechtigkeit nicht von den Eltern den Kindern mitgeteilt worden sein. Auf der anderen Seite sagt Anselmus (de conceptu Virg. c. 10.): „Zugleich damit daß sie eine vernünftige Seele gehabt hätten, wären die Kinder gerecht, wenn ohne Sünde sie der Vater gezeugt hätte.“
b) Ich antworte; der Natur nach erzeuge der Mensch, was ihm gemäß der Gattung ähnlich ist. Welche Eigentümlichkeiten also die Natur der Gattung selber begleiten, in denen müssen die Kinder den Eltern ähnlich sein; es müßte denn der natürlichen Zeugung ein Fehler oder Mangel innewohnen, was im Urzustande auszuschließen ist. In den Eigentümlichkeiten nur, welche der einzelnen Person als einer einzelnen anhaften, ist es nicht notwendig, daß die Kinder den Eltern gleichen. Die Urgerechtigkeit aber war eine Eigentümlichkeit, welche der Natur der Gattung innewohnte; nicht zwar als ob sie in den natürlichen Ursachen und Principien der Gattung ihren Grund gehabt hätte, sondern weil sie wie ein Gnadengeschenk der ganzen Menschennatur verliehen worden. Und das wird noch deutlicher durch das Gegenteil der Urgerechtigkeit. Denn was zu einander im Gegensatze steht, ist von Natur aus geeignet, vom nämlichen Subjekte getragen zu werden. Die Erbsünde aber, welche das Gegenteil der Urgerechtigkeit ist, wird „eine Sünde der Natur“ genannt und sonach von den Eltern auf die Kinder vererbt. Also war auch die Urgerechtigkeit eine der Natur erwiesene Wohlthat und wäre von den Eltern auf die Kinder vererbt worden.
c) I. Hugo spricht da nicht vom Zustande der Urgerechtigkeit, sondern von der Thätigkeit gemäß derselben. Daß nämlich jemand die Tugend, also den Zustand der Mäßigkeit besitzt, hindert nicht, daß er auch einmal thatsächlich unmäßig ist. II. Einige meinen, die Kinder würden wohl in der Urgerechtigkeit geboren sein; jedoch ohne die Gnade, die das Princip übernatürlichen Verdienstes ist. Da jedoch die Wurzel der Urgerechtigkeit, in welcher Adam geschaffen worden, in der übernatürlichen Unterwürfigkeit der Vernunft Gott gegenüber besteht und diese ohne Gnade nicht sein kann, so würden die Kinder dadurch selber daß sie in der Urgerechtigkeit geboren werden, auch in der Gnade geboren worden sein. III. Damit ist jedoch nicht gesagt, daß die Gnade etwas Natürliches sei. Denn sie wäre nicht vermittelst des Samens fortgepflanzt worden, so daß die Zusammensetzung der menschlichen stofflichen Natur sie gefordert hätte; sondern sobald der Mensch die vernünftige Seele gehabt haben würde, wäre sie ihm gegeben worden; wie ja auch allsobald daß der Körper dazu vorbereitet ist, die vernünftige Seele von Gott ihm durch Schaffung veliehen wird, die also nicht kraft des Samens fortgepflanzt ist.
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