Vierter Artikel. Die höheren Engel teilen den niedrigeren Alles mit, was ihnen bekannt ist.
a.) Dementgegen scheint zu sein die Stelle bei: I. Dionysius (12. coel. hier.): „Die höheren Engel haben ein umfassenderes allgemeineres Wissen wie die niedrigen, deren Wissen mehr ein besonderes, noch der Vollendung harrendes ist.“ Mehr aber ist enthalten im allgemeinen Wissen als im mehr eingeschränkten und besonderen. Also teilen die höheren Engel nicht Alles mit, was ihnen bekannt ist. II. Petrus Lombardus (11. dist. 2. St.): „Die höheren Engel kannten von Ewigkeit das Geheimnis der Menschwerdung; den niederen war es unbekannt, bis es erfüllt wurde.“ Das scheint auch der Psalm zu bestätigen, wo die niedrigen Engel fragen: „Wer ist dieser König der Herrlichkeit?“ und ihnen als den nicht wissenden von denen, die es kannten, geantwortet wird: „Der Herr der Gewalten, Er selber ist der König der Herrlichkeit.“ (Dionysius, 7. de coel. hier.) Dies würde aber nicht geschehen können, wenn die höheren Engel den niedrigeren Alles mitteilen würden, was ihnen be kannt ist. III. Wenn Letzteres stattfände, so würde ja den niederen Engeln nichts unbekannt bleiben von dem, was die höheren wissen. Es könnten also die letzteren nicht weiter erleuchten. Auf der anderen Seite sagt Gregor (hom. 34. in Evang.; vgl. 9. dist. lib. 2. Sent.): „In jenem himmlischen Heim ist wohl Manches den einen in mehr hervorragender Weise verliehen worden wie den anderen; nichts aber besitzen die einen für sich allein;“ und Dionysius (15. de coel. hier.): „Eine jede dieser himmlischen Substanzen teilt das von einer höheren ihr verliehene Verständnis den tieferstehenden mit.“
b) Ich antworte: Alle Kreaturen haben dies von der göttlichen Güte, daß sie das Gute, was sie empfangen haben, weiter verbreiten; denn zum Wesen des Guten gehört das Mitteilen. Und daher kommt es auch, daß die körperlichen wirkenden Ursachen, soweit es ihnen möglich ist, ihre Ähnlichkeit mitteilen. Je mehr also dergleichen Ursachen an der göttlichen Güte Anteil haben, desto mehr neigen sie dazu, ihre Vollkommenheiten in anderes Sein hin zu verbreiten, soweit es möglich ist. Deshalb ermahnt Petrus (I. 4.): „Jeder soll die Gnade, die er empfangen, zum Besten und Nutzen der anderen anwenden und so sollen sie gute Verwalter sein der vielgestalteten Gnade Gottes.“ Weit mehr also teilen die heiligen Engel, die in aller Fülle an der Güte Gottes Anteil haben, was sie auch immer von Gott erhalten, den tiefer Stehenden mit. Es wird dies aber von den letzteren nicht in so hervorragender Weise aufgenommen, wie es in den höheren sich vorfindet. Deshalb bleiben die höheren immer auf ihrer Rangstufe und haben vollendeteres Wissen; wie ja ein und dieselbe Sache der Lehrer vollendeter auffaßt wie der Schüler.
c) I. Die Art und Weise zu verstehen ist in den höheren Engeln hervorragender; und deshalb wird sie als eine umfassendere, allgemeinere bezeichnet. II. Die niederen Engel waren nicht in vollständiger Unkenntnis rücksichtlich des Geheimnisses der Menschwerdung; sie kannten es aber nicht in so vollendeter Weise wie die höheren. Sonach machten die niederen Engel Fortschritte in der betreffenden Kenntnis, als dieses Geheimnis erfüllt wurde. III. Bis zum Tage des Gerichts wird den höchsten Engeln immer noch wieder Neues von seiten Gottes offenbart werden in betreff der Weltleitung und zumal des Heiles der Auserwählten. Also können die höheren Engel immer wieder die niederen erleuchten.
