Zweiter Artikel. Der körperliche Stoff folgt nicht den Engeln unmittelbar wie auf ihren wink.
a) Es scheint dies jedoch so zu sein. Denn: I.Größer ist die Kraft des Engels wie die Kraft der Seele. Der Auffassung der Seele aber gehorcht im Augenblicke der körperliche Stoff. Bereits aus der Auffassung der Seele allein nämlich fühlt der Körper Wärme und Kälte; und bisweilen wird er auf Grund derselben gesund oder krank.Also muß der Stoff um so mehr der Engelkraft gehorchen und seine Formen gemäß dem Willen der Engel wechseln. II.WasdieniedereKraft kann,das kann auch die höhere.DerKörper aber kann mit seiner eigenen Kraft Körperliches verändern und voneiner Form zur andern bringen; wie Feuer z. B. Feuer erzeugt. Also kanndies um so mehr die höhere, die Engelkraft. III. Die ganze Körpernatur wird geleitet und regiert durch die Engel. Deshalb scheint es, daß die Körper sich zu den Engeln verhalten wie Werkzeuge; denn die Natur des Werkzeuges ist, daß es erst bewegt, nachdem es selber in Bewegung gesetzt worden. Nun wird aber in den Wirkungen immer etwas gefunden, was der Kraft des an erster Stelle,des hauptsächlich Einwirkenden entspricht und was nicht vorhanden sein kann auf Grund des Werkzeuges; es ist dies dasjenige, was in der Wirkung das Maßgebende ist. So z. B. vollzieht sich die Verdauung vermittelst der natürlichen Wärme, die als Werkzeug dasteht für die Nährseele. Daß aber lebendes Fleisch erzeugt wird, das geschieht kraft der Nährseele selber; und nicht kraft des Werkzeuges, der Wärme. Und ähnlich daß das Holz zerschnitten wird; das kommt vom Werkzeuge, der Säge. Daß man aber bis zur Form des Bettes gelangt, das geschieht kraft der Kunst des Künstlers. Das Maßgebende und Hauptsächliche aber in den körperlichen Wirkungen ist die Wesensform. Also ist diese vom Haupteinwirkenden,von der Kraft der Engel. Und da der Stoff nur Sein hat vermittelst der Wesensform, so ist dies dasselbe als sagen: Der Stoff gehorcht unmittelbar den Engeln. Auf der anderen Seite schreibt Augustin (3. de Trin. cap. 8.): „Man darf nicht glauben, daß diesen abgefallenen Engeln der Stoff auf ihren Wink folge; er gehorcht nur Gott.“
b) Ich antworte, daß es die Meinung der Platoniker sei, die Wesensformen im Stoffe würden durchaus verursacht durch stofflose Substanzen. Mit ihnen nahm Avicenna an, alle Formen im Stoffe gingen hervor von der Auffassung einer reinen Vernunft und die körperlichen Ursachen bereiteten nur den Stoff vor für die Wesensform. Diese Philosophen täuschten sich darin, daß sie meinten, die Wesensform im Stoffe sei etwas für sich selbst Gemachtes und für sich selbst Bestehendes. Das ist aber nicht der Fall, sondern, wie Aristoteles (7 Metaph.) beweist, ist das, was gemacht wird, also die eigentliche Folge des Wirkens, nichts Anderes wie das Zusammengesetzte. Die Form aber ist nicht, um im eigentlichen Sinne zu sprechen, sondern durch sie ist etwas; und somit wird sie auch eigentlich nicht, sondern das Zusammengesetzte wird, da das Werden immer dem Sein entspricht als Weg zum Sein. Offenbar aber ist das Gewordene ähnlich dem Wirkenden; denn jegliches Wirkende bringt etwas sich Ähnliches hervor. Und deshalb hat die Ursache, welche die natürlichen Dinge hervorbringt, Ähnlichkeit mit dem Zusammengesetzten entweder weil es selber etwas Zusammengesetztes ist, wie das Feuer Feuer erzeugt; oder weil das ganze Zusammengesetzte, sowohl der Stoff wie die Wesensform nämlich, in seiner wirkenden Kraft enthalten ist; und das ist Gott allein eigen. Sonach ist es entweder unmittelbar von Gott, daß der Stoff seine Wesensform erhält und somit ist; oder es ist von einer körperlichen wirkenden Ursache; nicht aber unmittelbar von einem Engel.
c) I. Unsere Seele ist als Wesensform mit dem Körper vereint zu einem einigen natürlichen Sein; und so liegt nichts Wunderbares darin, daß der Körper unmittelbar dem Einflüsse der Auffassung der Seele untersteht. Dazu kommt, daß die Bewegung des sinnlichen Begehrungsvermögens ja nicht ohne eine Veränderung im körperlichen Organ ist und dem Befehle der Vernunft unterliegt. In dieser Weise verhält sich aber der Engel nicht .zum Körperlichen. II. Was die niedere Kraft kann, vermag auch die höhere; und zwar in mehr hervorragender Weise, wie ja auch die Vernunft das Sichtbare in hervorragenderer Weise erkennt als der Sinn. Und so fließen auch in hervorragenderer Weise die Engel auf die Veränderungen im Stoffe ein als die körperlichen wirkenden Ursachen; denn sie setzen als höhere Ursache diese letzteren selber in Bewegung. III. Dem steht nichts entgegen, daß im Bereiche des Stofflichen einige Wirkungen aus der einwirkenden Kraft der Engel kommen,a n die keine körperliche Ursache hinanreicht. Das bedeutet aber nicht, daß der Stoff dem Winke der Engel folgt. So folgt auch nicht den Köchen der Stoff auf ihren Wink; weil sie etwa durch das Feuer in feiner kunstvoller Art kochen, was das Feuer an sich nicht vermöchte. Den Stoff aber mit der Wesensform verbinden und so zu thatsächlichem Sein bringen, das überschreitet nicht die Macht der körperlichen Ursache; denn Ähnliches macht etwas sich Ähnliches.
