Dritter Artikel. Der Engel kann unmittelbar auf die Einbildungskraft einwirken.
a) Das scheint nicht. Denn: I. „Das Phantasiebild ist eine Bewegung, welche dem thatsächlichen Sein nach vom Sinne ausgeht,“ sagt Aristoteles. (2. de anima.) Geht es aber seiner Natur nach von den äußeren Sinnen aus,so kann nicht dem thatsächlichen Sein nach der Engel es bewirken. Also hat der Engel keinen wirkenden Einfluß auf die Phantasiebilder. II. Die Formen in der Einbildungskraft sind in höherem Grade vom Stoffe gelöst und stehen deshalb höher im Sein wie die Formen im sicshtbaren Stoffe. Diese letzteren aber kann, wie oben gesagt, der Engel nicht unmittelbar bewirken; also auch nicht die Phantasiebilder oder Formen in der Einbildungskraft. III. Augustin sagt (12. sup. Gen. ad litt. c. 12.): „Der Geist kann sich mit einem anderen Geiste in der Weise vereinen, daß, was er selber weiß, er dem anderen durch entsprechende Ideen zeigt; mag letzterer nun wirkliches Verständnis gewinnen oder mag nur das, was ein anderer verstanden hat, ihm vorgelegt werden. “Der Engel aber kann sich nicht in dieser Weise mit der menschlichen Einbildungskraft vereinigen; und ebenso könnte die Einbildungskraft nicht das vorgelegte Erkennbare, was der Engel erkennt, in sich aufnehmen. Der Engel also kann die Einbildungskraft nicht durch seinen wirkenden Einfluß verändern. IV. Im Schauen gemäß der Einbildungstraft hängt der Mensch den Ähnlichleiten der Dinge an, als ob sie die wirklichen Dinge selber wären. Das aber ist eine Täuschung; wozu der Engel nicht mitwirken kann. Auf der anderen Seite enthüllen die Engel während des Schlafes Manches im Traumbilde, wie aus Matth. 1. und 2. feststeht, wo der Engel dem Joseph im Schlafe erscheint. Solche Traumgebilde aber werden vermittelst der Einbildungskraft geschaut. Also wirken die Engel direkt auf letztere ein.
b) Ich antworte, jeder reine Geist könne auf die Phantasie des Menschen einwirken. Denn der Stoff gehorcht dem Engel mit Rücksicht auf die Ortsbewegung. Was also durch die örtliche Bewegung verursacht werden kann, das untersteht der natürlichen Kraft der Engel. Offenbar aber werden die Phantasieerscheinungen bisweilen in uns verursacht durch die Ortsveränderung der stofflichen Kräfte und der humores. Deshalb sagt Aristoteles (de vigil. et somno c. 3. et 4.); daß, wenn das sinnliche Wesen schläft, sehr viel Blutstoff hinabsteigt zum Princip der sinnlichen Thätigkeit und zugleich steigen damit herab die Eindrücke, welche aus den Sinnesbewegungen zurückgeblieben sind und in den sinnlichen Kräften aufbewahrt werden; diese Eindrücke in die Sinne also, die mit dem Blute herabsteigen, bewegen und bestimmen das sinnliche Princip der Thätigkeit, so daß eine gewisse Erscheinung sich bildet, als wenn das Princip der sinnlichen Thätigkeit von den äußeren wirklich bestehenden Dingen selber beeinflußt würde. Und diese Bewegung der Eindrücke und der humores kann eine so große sein, daß sie, wie bei den Wahnsinnigen, die an einer fixen Idee leiden, auch im wachenden Zustande sich geltend machen. Sowie also dies sich vollzieht durch natürliche Bewegung und bisweilen durch den Willen der Menschen, der sich freiwillig auf das richtet, was er früher empfunden hatte, so kann dies auch geschehen durch die Kraft der guten oder bösen Engel; und zwar bisweilen in Verzückung, während nämlich die Sinne nichts thun, bisweilen ohne Verzückung.
c) I. Vom Sinne geht als von seinem nächsten Princip das Phantasiebild dem thatsächlichen Sein nach aus. Denn wir können kein Phantasiegebilde gestalten von dem, was wir weder ganz noch teilweise sinnlich wahrnehmen; wie der Blinde sich von keiner Farbe ein Phantasiebild machen kann. Manchmal aber wird die Einbildungskraft geformt von den inneren Eindrücken aus, die bewahrt worden sind; wie oben erklärt worden. II. Der Engel kann auf die Phantasie zwar nicht einwirken, indem er eine Form einprägte, die vorher von den Sinnen her nicht empfangen worden (denn er könnte nicht machen, daß der Blinde ein Phantasiebild von den Farben hätte); jedoch kann er in den Phantasiebildern etwas ändern dadurch, daß er die sinnlichen Eindrücke und die humores örtlich bewegt. III. Jene Verbindung ist keine Verbindung vermittelst des Wesens, sondern durch die Wirkung; und so zeigt der Engel, was er kennt, nicht aber auf dieselbe Weise, wie er erkennt. IV. Bisweilen verursacht der Engel in der Weise ein Schauen der Einbildungskraft, daß er zugleich die Vernunft erleuchtet, damit diese erkenne, was durch die Phantasiebilder bezeichnet werde; und dann ist von einer Täuschung von vornherein keine Rede. Bisweilen aber erscheinen kraft der Einwirkung des Engels nur die Bilder in der Phantasie; und dann ist die Täuschung nicht vom Engel verursacht, sondern rührt von der Ohnmacht unserer Vernunft her. So war ja auch Christus nicht die Ursache einer Täuschung darin, daß er Vieles den Scharen in Gleichnissen vorlegte, die Er nicht auslegte.
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