Zweiter Artikel. Nicht alle Engel werden zu Dienstleistungen gesandt.
a) I. Paulus jedoch sagt (Hebr. 1, 14.): „Alle sind dienstbereite Geister.“ II. Der oberste Engelchor sind die Seraphim. Ein Seraph jedoch ist nach Isaias 6. gesandt worden, um die Lippen des Propheten Isaias zu reinigen. III. Zwei göttliche Personen selber werden gesandt; also um so mehr alle Engel. IV.Werden die höheren Engel nicht gesandt, so geschähe dies, weil sie den göttlichen Dienst durch tiefer stehende ausführen lassen. Unter jedem Engel aber steht ein anderer; also würde nur einer, der allerletzte, nicht gesandt. Das ist aber gegen Daniel 7,10.: „Tausende Tausender dienten Ihm.“ Auf der anderen Seite berichtet Gregor der Große die Meinung des Dionysius mit den Worten: „Die höheren Engelscharen werden keineswegs gebraucht, um zu äußeren Dienstleistungen verwendet zu werden.“
b) Ich antworte; die Ordnung der göttlichen Weisheit befolgt dieses Gesetz im ganzen All, daß die niedrigeren Wesen stufenweise durch die höheren geleitet werden.Von dieser Ordnung wird im Bereiche des Körperlichen jedoch infolge göttlicher Erlaubnis manchmal abgegangen einer höheren Ordnung wegen; nämlich insofern es der Offenbarung der Gnade dient. Denn daß der Blindgeborene geheilt, Lazarus vom Tode erweckt worden ist, geschah unmittelbar von Gott ohne das Einwirken der Himmelskörper. Aber auch die guten und die bösen Engel können im Bereiche unserer irdischen Körpernatur Manches thun, ohne daß das Einwirken der Himmelskörper vorausgesetzt wird; wie z. B. die Wolken zu Regen verdichten und Ähnliches. Es darf niemand zudem bezweifeln, daß Gott unmittelbar den Menschen etwas offenbaren kann ohne Mitwirkung der Engel; und daß die höheren Engel dies thun können, ohne die einwirkende Kraft der niederen vorauszusetzen. Danach sagten nun einige, die höheren Engel würden nach dem gemeinen Gebrauche nicht gesendet, sondern nur die niederen; jedoch geschehe es manchmal besonderer Zulassung Gottes zufolge, daß auch die höheren gesandt würden. Doch das scheint gegen die Vernunft zu sein. Denn die Ordnung bei den Engeln wird erwogen gemäß der Richtschnur der Gnadengaben. Nun besteht aber über der Ordnung der Gnade keine höhere, um derentwillen diese außer acht gelassen würde; wie manchmal um der Ordnung der Gnade willen die der Natur beiseite gelassen wird. Dabei ist zu erwägen, daß die Ordnung der Natur im Wirken der Wunder beiseite gelassen wird um der Befestigung des Glaubens willen. Dazu würde aber nichts beitragen, wenn ein Engelchor beiseite gelassen würde, damit ein höherer an die Stelle trete; da ja dies von uns nicht wahrgenommen werden könnte. Nichts zudem ist so groß im göttlichen Dienste, daß es nicht durch die niedrigeren Engelchöre ausgeführt werden könnte. Deshalb sagt Gregor der Große (34. in Evgl.): „Die da Höchstbedeutendes ankündigen, werden Erzengel genannt, weshalb zur Jungfrau Maria ein Erzengel gesandt wird;“ dies war also die höchste unter allen Dienstleistungen im Dienste Gottes. Deshalb müssen wir einfach mit Dionysius sagen (13. coel. hier.): „Die höheren Engel werden nicht gesandt.“
c) I. Gleichwie in der Sendung der göttlichen Personen die eine Sendung als eine sichtbare zu betrachten ist, insoweit sie gemäß einer körperlichen Kreatur sich vollzieht; die andere aber als eine unsichtbare sich darstellt, insoweit sie gemäß geistiger innerer Liebe sich vollzieht; — so wird auch unter den Sendungen der Engel eine als sichtbare bezeichnet, die nämlich, welche darauf ausgeht, im Bereiche des Körperlichen einen Dienst zu leisten und gemäß dieser werden nicht alle Engel gesandt; die andere vollzieht sich in rein vernünftiger Weise gemäß geistiger Kenntnis und Liebe, insofern nämlich ein Engel den anderen erleuchtet und gemäß dieser werden alle Engel gesandt. Oder man kann sagen, der Apostel will mit dieser Stelle beweisen, daß Christus größer ist wie die Engel, durch welche das Gesetz gegeben und geleitet worden; um so zu zeigen, wie erhaben das neue Gesetz über das alte sei. Also würden die Worte nur zu verstehen sein von den Diensten der Engel, durch welche das Gesetz gegeben worden. II. Nach Dionysius (l. c.) war dieser Engel einer von den niederen; wird aber Seraph,d. h. Entzündender, genannt, weil er gekommen war, um die Lippen des Propheten zu entzünden. Oder man kann sagen, die höheren Engel teilten die Gnadenvorzüge, nach denen sie benannt werden, mit vermittelst der niedrigeren Engel. So also hätte nicht ein Seraph selber unmittelbar die Lippen des Propheten gereinigt, sondern der Seraph hätte einem niedrigeren Engel die Kraft gegeben, es zu thun; wie wir sagen, der Papst löse los, wenn er es auch durch einen anderen thut. III. Die göttlichen Personen werden nicht zum Dienste gesandt.(Vgl. Kap. 43.) IV. Die Dienstleistungen im Dienste Gottes haben viele Grade. Nichts also steht dem entgegen, daß auch Engel, die einander nicht gleich sind, unmittelbar zum Dienste gesandt werden; so freilich, daß die Engel auf einer höheren Stufe zu bedeutenderen Diensten gesandt werden wie die auf einer niedrigeren; immer vorausgesetzt, daß es sich um ein und denselben Chor aus den niederen Chören handelt.
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