Zweiter Artikel. Der Wille in den Engeln ist verschieden von der Vernunft.
a) Dem scheint nicht so. Denn: I. Der Körper im Bereiche der Natur hat kraft und in seiner Form bereits die Neigung zu seinem Zwecke, der sein Gut ist; wie der Stein durch seine Natur bereits fällt, ohne daß dafür ein besonderes Vermögen zu ihm hinzugefügt erschiene. Um so mehr muß das also beim Engel der Fall sein. Die bestimmende Form des Engels aber ist zuvörderst seine Natur, in welcher er für sich besteht; und dann die Idee oder Erkenntnisform, die in seiner Vernunft sich findet. Also neigt sich der Engel kraft seiner Natur oder kraft seiner Erkenntnisform zum Guten hin. Da nun diese Neigung eben zum Willen gehört, so ist der Wille im Engel ein und dasselbe wie seine Natur ober seine Vernunft. II. Der Gegenstand der Vernunft ist das Wahre; der des Willens das Gute. Das Gute aber ist vom Wahren nur nach der Auffassung der Vernunft, nicht dem wirklichen Sein nach verschieden. Also ist auch der Unterschied zwischen Vernunft und Wille kein Unterschied dem wirklichen Sein nach. III. Das Gute ist etwas Wahres und das Wahre ist etwas Gutes. Das kann aber keine Verschiedenheit in den Vermögen begründen; ebensowenig wie „Farbe“ als Allgemeines und „Weiß“ als eine besondere Farbe eine zweifache Sehkraft begründen. Auf der anderen Seite erstreckt sich der Wille in den Engeln nur auf das Gute; er kann nichts wollen, was ihm als allseitig schlecht vorkommt. Die Vernunft aber erstreckt sich auf Gutes und Böses, denn beides ist wahr. Also ist der Wille in den Engeln verschieden von der Vernunft.
b) Ich antworte, daß der Wille in den Engeln ein eigenes Vermögen ist und weder die Natur derselben noch ihre Vernunft. Daß er nicht die Natur ist, das ist schon daraus offenbar, daß die Natur oder das Wesen eines Dinges innerhalb des Dinges selbst einbegriffen ist. Wenn sich also etwas auf ein Sein erstreckt, was außen ist, so kann das unmöglich mit dem Wesen des Dinges szusammenfallen. Sonach sehen wir dies auch bei den Körpern im Bereiche der Natur, daß jene Neigung, welche sie zu ihrem eigenen Sein haben, nichts zum Wesen selber Gehöriges, in ihm Eingeschlossenes ist; sondern daß sie besteht einerseits kraft des Stoffes, der nach Sein verlangt, ehe er es hat, und andererseits kraft der bestimmenden Form, welche das Ding im Sein festhält, nachdem dasselbe geworden. Jene andere Neigung aber, welche auf etwas außen Bestehendes geht, ist vorhanden kraft etwas zum Wesen Hinzugefügtem; wie die Neigung zu einem bestimmten Orte auf der Schwere oder auf dem Leichten begründet erscheint. Und ebenso beruht die Neigung, um etwas Ähnliches zu wirken, auf den zum Wirken geeigneten Eigenschaften. Das Wesen eines Dinges ist ja der Grund, daß dieses für sich besteht, daß es selbständig und von außen insoweit unabhängig ist; solche Neigungen aber treiben gerade nach außen. Der Wille nun hat kraft seiner Natur Hinneigung zum Guten. Daher also ist allein dort der Wille die Natur des Wollenden, wo das Gute sich ganz und gar innerhalb des Wesens des Wollenden findet; nämlich nur in Gott, der nichts will außerhalb seiner selbst, wenn nicht auf Grund seiner Güte. Das kann jedoch von keiner Kreatur gesagt werden; da das unendliche Gut außerhalb der Wesenheit eines jeden Geschöpfes ist. Weder also der Wille des Engels noch der irgend einer anderen Kreatur kann mit deren Natur zusammenfallen. Ähnlich kann die Vernunft nicht der Wille sein. Denn die Kenntnis vollzieht sich dadurch, daß das Gekannte im Erkennenden ist; der Wille aber geht auf eine außen befindliche Sache und möchte sie besitzen. Sonach erstreckt sich die Vernunft auf das, was außen ist, insofern etwas mit seinem Wesen außen geeignet ist oder vielmehr dazu da ist, daß es im Erkennenden sei. Der Wille aber erstreckt sich auf das, was außen ist, insofern er in sich eine gewisse Neigung hat, aus sich herauszutreten, nach außen zu streben. Das gehört aber einer anderen Kraft an, daß jemand etwas in sich selber haben will, was außen ist; und einer anderen, daß er im Streben nach einem außen befindlichen Dinge aus sich heraus treten will. In jeder Kreatur also muß die Vernunft vom Willen sich unterscheiden; nur in Gott nicht, der sowohl das Allsein wie das Allgut in Sich selber, in seiner einen Natur hat, so daß der Wille ebenso wie die Vernunft sein Wesen ist
c) I. Der Körper im Bereiche der Natur hat kraft seiner substantialen Form Neigung zu seinem eigenen Sem; nach außen hin wird er hingeneigt durch etwas Hinzugefügtes. Vgl. den Text. II. Die Verschiedenheit in den Vermögen richtet sich eben nach dem formalen, in der vernünftigen Auffassung begründeten Unterschiede der entsprechenden Gegenstände; nicht je nachdem letztere im wirklichen materiellen Sein verschieden sind. Nicht die verschiedenen weißen Körper begründen eben so viele Sehkräfte, sondern in ein und demselben Körper faßt das Auge das Weiße, die Zunge das Süße auf; je nach der formalen Verschiedenheit in diesen Eigenschaften. Somit genügt also auch die formale Verschiedenheit, wonach das Gute als etwas Anderes aufgefaßt wird wie das Wahre, zur Scheidung der Potenzen. III. Weil dem wirklichen Sein gemäß Gutes und Wahres zusammenfällt; daher kommt es, daß das Gute von der Vernunft aufgefaßt wird unter dem Gesichtspunkte des Wahren und das Wahre vom Willen erstrebt wird als ein Gut.
