10. Vom Durchzug durch das rote Meer
Und da ja schon so mancher von diesem Durchzug durch das Meer gesprochen hat, habe auch ich beschlossen, einiges in dieses Buch einzuflechten über den Ort, wo es geschah, und wie man dort hindurchzog. Der Nil fließt, wie der Leser weiß, durch Ägypten und bewässert durch seinen Austritt dieses Land, weshalb auch die Ägypter Nilanwohner genannt werden. Jetzt sind die Ufer des Flusses mit heiligen Klöstern bedeckt, wie viele erzählen, die jene Gegenden besucht haben. Am Gestade aber des Nils liegt Babylon, nicht das obengedachte, sondern eine andere Stadt dieses Namens1, und hier baute Joseph aus Quadersteinen und Mörtel Vorratskammern von ungeheurer «Größe, und zwar in der Art, daß sie am Boden geräumig angelegt, nach oben eng wurden, und durch eine ganz kleine Offnung dort der Weizen hineingeschüttet wurde; diese S. 17 Vorratskammern sieht man noch bis auf den heutigen Tag2. Von dieser Stadt brach der König auf, um die Hebräer zu verfolgen mit einer Menge von Kriegswagen und zahlreichem Fußvolk Der Nil strömt von Morgen gen Abend nach der Richtung des roten Meeres zu; von Abend aber dehnt sich ein See oder ein Arm vom roten Meere nach Morgen aus 3, etwa 50 Meilen in der Länge und 18 in der Breite, und an der Spitze dieses Sees ist die Stadt Clysma4 erbaut, nicht wegen der Fruchtbarkeit des Bodens, denn es gibt kein unfruchtbareres Land, sondern wegen des Hafens daselbst. Denn die Schiffe, welche von Indien kommen, legen dort wegen der günstigen Lage des Hafens an, dort kauft man die Waren und vertreibt sie durch ganz Ägypten. Die Hebräer nun, nach diesem See durch die Wüste ziehend, kamen bis an das Meer und lagerten sich, als sie süßes Wasser gefunden hatten. An diesem Ort, eng von der Wüste und vom Meere umschlossen, machten sie Halt, wie geschrieben steht: »Pharao, als er vernahm, daß sie das Meer und die Wüste einschlösse, und kein Weg ihnen freistünde zu entkommen, brach auf, sie zu verfolgen5« Und da die Ägypter ihnen nahe waren, und sie zu Moses schrien, streckte er feinen Stab, wie es die Gottheit ihm befahl, aus über das Meer, und es teilte sich, und sie gingen hindurch auf dem Trocknen, und »das Wasser war ihnen«, wie die Schrift sagt, »für Mauern, zur Rechten und zur Linken6.« Und sie kamen hindurch an das Gestade, das gegen den Berg Sinai S. 18 liegt, unter der Leitung des Moses ohne allen Schaden, die Ägypter aber ertranken. Von diesem Durchzug wird vieles, wie ich schon sagte, erzählt, aber ich habe nur das hier einschalten wollen, was ich von verständigen Männern und besonders von denen, die in jene Gegenden gekommen sind, vernommen habe. Diese erzählen auch, daß die Furchen der Wagenräder noch bis heute geblieben sind, und daß man sie, soweit das Auge hinunterdringt, im Meere unterscheiden kann. Und wenn sie auch das bewegte Meer auf kurze Zeit überspült, treten sie doch bei Meeresstille wiederum auf wunderbare Weise so hervor, wie sie zuvor waren7 Es sagen andere, daß die Hebräer an das nämliche Ufer, von wo sie ausgegangen waren, wieder zurückgekehrt seien, nachdem sie einen kleinen Umweg durch das Meer gemacht hätten. Manche behaupten, daß sie alle zusammen hindurchgezogen, andere dagegen, daß jeder Stamm einzeln seinen besonderen Weg gehabt habe, indem sie dafür irrig das Zeugnis des Psalters anführen: »Der das Schilfmeer teilt in Abteilungen«8. Denn die Abteilungen müssen wir hier bildlich, nicht buchstäblich verstehen. Es gibt nämlich in dieser Welt, welche bildlich ein Meer genannt wird, viele Abteilungen, denn es können nicht alle auf gleiche Weise oder auf einem Wege zum Leben gelangen. Einige9 gehen ein zur ersten Stunde, das sind die, welche wiedergeboren durch die Taufe, unberührt von aller Befleckung des Fleisches ausharren können bis an das Ende dieses Lebens; andere zur dritten Stunde, diejenigen nämlich, welche sich erst in späteren Jahren bekehren; andere zur sechsten Stunde, welche erst die Lust des Fleisches bändigen, S. 19 und so werden zu jeglicher Stunde, wie der Evangelist sagt, welche zur Arbeit im Weinberge des Herrn nach ihrem Glauben gedungen. Das sind die Abteilungen, in welchen man durch dieses Meer zieht. Daß sie aber, bis zum Meer gekommen, zurückgekehrt sein und das Ufer des Sees wieder eingenommen haben sollen, dafür führt man an jenes Wort, das der Herr zu Moses sagte: »Sprich, daß sie sich herumlenken und lagern gegen dem Tal Hiroth, zwischen Migdol und dem Meere gegen Baal Zephon10.« — Jener Durchzug durch das Meer und die Wolkensäule sind augenscheinlich Vorbild gewesen unserer Taufe, denn so fpricht der heilige Apostel Paulus: »Jch will euch aber, liebe Brüder, nicht verhalten, daß unsere Väter sind alle unter der Wolke gewesen und sind alle durch das Meer gegangen, und sind alle unter Mose getauft mit der Wolke und mit dem Meer11«.« Die Feuersäule aber bedeutete den heiligen Geist voraus.
Von der Geburt Abrahams bis zum Auszug der Kinder Jsrael aus Ägypten und. dem Durchzug durch das rote Meer, der im achtzigsten Jahre des Moses geschah, werden 462 Jahre gezählt.
Später Mast el Atika oder Fostäy Altkaira ↩
Gregor hat die Pyramiden im Auge; die Antike nahm sie manchmal für SYCBhckUfEkbyzantinische Schriftsteller leiteten den Namen von dem griechischen nup.(Weizen) ab und dachten an Borratskammern Joseph’s. So auch noch in kamlingischer Zeit Dicuil, Liber de mensura orbis terrae S, 3 und später die Araberz vergl. äzetrvnne in der Ausgabe Gregors von Guadet und Taranne (oben S. 466 f.). ↩
Der Golf von Suez, auf den auch die angegebenen Maße ziemlich passen. Es ssUV kömkfche Meilen gemeint; 1 römische Meile = 1477,5 m. ↩
Kolsum bei Suez. ↩
2 V« MAT14, 5, nicht wörtlich von Gregor angeführt. ↩
2 B. Mos u, 22. ↩
Die Erzählung von den Furchen der Wagenräder nimmt Gregor aus Otofius 1 1o, 17. ↩
Psal. 136, is. Luther: in zwei Teile. ↩
Das folgende ist eine allegorische Erklärung der Parabel von den Arbeitern im Weinberg, Matth. 20, 3 f.; ähnlich z. B. HieroUyMUZ Ü! fEiUEM Matthäuskom« mentar llI, 20. ↩
2 V· MÄ14. Z. ↩
1 Kot. 10. I, Z. ↩
