1. Vom Bischof Bricius
Nach dem Tode des heiligen Martinus, Bischofs zu Tours, jenes großen unvergleichlichen Mannes, über dessen Wundertaten wir noch jetzt ausführliche Bücher haben, folgte im Bistum Bricius1 Dieser Bricius bereitete, als er in jungen Jahren stand, und der heilige Martinus noch im Fleische wandelte, diesem so manche Kränkungem deshalb, weil er oft von ihm gescholten wurde, daß er sein Herz an nichtige Dinge wandte. So geschah es eines Tages, daß ein Kranker beim heiligen Martinus Heilung suchte und just Bricius, der damals noch Diakon war, auf der Straße fand. Da fragte jener ihn arglos:
» Siehe, ich suche den heiligen Mann und weiß nicht, wo er ist und was er jetzt vor hat.« Bricius aber antwortete ihm: »Wenn du jenen alten Faseler suchst, da ist er in der Ferne, sieh nur, wie er nach feiner Art zum Himmel starrt, wie ein Narr.« Als darauf der Arme den Bischof gefunden und von ihm erlangt hatte, was er wollte, sprach der heilige Mann zu Bricius, dem Diakon, also: »Wie, Bricius, meinst du, ich fasele?« Da aber jener bei diesen Worten verlegen wurde und sagte, er habe es nicht gesagt, sagte der heilige Mann: »War denn nicht mein Ohr an deinem Munde, wenn du dies auch hinter meinem Rücken sprachst? Wahrlich ich scgc dir, ich hebe es bei Gett erwirkt, daß du nach meinem Heimgange die bischöfliche Würde erlangest, aber wisse, viel Leiden wirst du als Bifchof erdulden« S. 58 Als Bricius dies hörte, lächelte er und sprach: »Habe ich es nicht gesagt, daß der Alte faselt?« Auch als Priester noch2 reizte er öfters den heiligen Mann durch Schmähungen. Als er aber darauf unter Zustimmung der Bürger Bifchof geworden war, lag er eifrig dem Gebete ob, und obschon er übermütig und eitel war, hielt man doch seinen Wandel für keusch. Als er schon dreiunddreißig Jahre Bischof war, begab sich indessen eine traurige Geschichte, und man erhob eine schwere Beschuldigung gegen ihn. Ein Weib nämlich, die ein scheinbar dem Herrn geweihtes Leben führte und das weltliche Gewand abgelegt hatte3, und zu der die Diener des Bischofs feine Kleider zum Waschen zu bringen pflegten, wurde plötzlich schwanger und gebar. Da erhob sich voll Unwillen alles Volk zu Tours und maß die Schuld dem Bischofe bei; einstimmig beschlossen alle, ihn zu steinigen. »Lange genug, so sprachen sie, hat die Ehrfurcht vor deinem heiligen Amt deine Ausschweifung nicht an den Tag kommen lassen, aber Gott will nicht, daß wir länger uns schänden durch den Kuß deiner unwürdigen Hände« Er aber leugnete standhaft und sprach: »Bringet das Kind« Und als sie das Kind ihm brachten, das erst einen Monat alt war, sprach zu ihm der Bischof: »Jch beschwöre dich bei Jesus Christus, dem Sohn des allmächtigen Gottes, wenn ich dich gezeugt habe, so sage es hier laut vor allen« Da antwortete das Kind: »Du bist nicht mein Vater.« Das Volk aber verlangte, er sollte es fragen, wer denn der Vater wäre; er aber sprach: »Das ist nicht meines Amtes; was mich anging, dafür habe ich gesorgt, wenn ihr sonst etwas wollt, fraget selbst.« Da sagten sie, das habe er durch Zauberkünste getan, erhoben sich gegen ihn ein— S. 54 mütiglich, schleppten ihn fort und sprachen: »Du sollst nicht länger als falscher Hirt über uns herrschen« Er aber, um sich vor dem Volk zu rechtfertigen, tat glühende Kohlen in sein Gewand, preßte sie fest an sich und ging so bis zum Grab des heiligen Martinus, begleitet von der Schar des Volkes. Und vor dem Grab warf er die Kohlen hin, und sein Gewand, sah man, war unversehrt. Da sprach er: »Ihr seht, dies Kleid ist nicht verletzt vom Feuer, und so ist auch mein Leib nicht befleckt durch die Umarmung eines Weibes« Sie aber glaubten ihm nicht, sondern widersprachen ihm, rissen ihn fort, schmähten und stießen ihn aus der Stadt, auf daß das Wort des Heiligen erfüllt würde: »Wisse, viel Leiden wirst du als Bischof erdulden«
Und als sie ihn verstoßen hatten, setzten sie als Bischof Iustinianus ein. Bricius aber wandte sich um Hilfe an den Papst zu Rom, weinte und schrie: »Mit Recht leide ich so, denn ich habe gesündigt gegen den Heiligen des Herrn, und ihn oft einen Faseler und Narren genannt, ich sah seine Wunder, und glaubte nicht« Als er die Stadt verlassen hatte, sagten die von Tours zu ihrem neuen Bischof: »Folge ihm nach und ver« laß dein Amt. Denn wenn du ihm nicht folgest, wirst du erniedrigt werden uns allen zum Gespött.« Da ging Iustinianus aus Tours und wandte sich nach Vercelli, einer Stadt in Italien, da aber traf ihn das Gericht Gottes, und er kam in der Fremde um.
Die von Tours vernahmen nun zwar sein Ende, aber sie blieben doch in ihrer Bosheit, denn sie setzten an seine Stelle Armentius. Bischof Bricius aber kam nach Rom, erzählte alles dem Papste, was er erduldet hatte, wohnte beim Stuhle der heiligen Apostel, sang dort unablässig die Messe und beweinte alles, was er gegen den Heiligen Gottes gefehlt hatte.
Im siebenten Jahre kehrte er dann von Rom zurück Und wollte mit des Papstes Erlaubnis wieder nach Tours sich S. 55
wenden. Und er kam zu einem Orte, Montlouis genannt, beim fechsten Meilensteine von der Stadt, und kehrte dort ein. Armentius aber wurde zu der Zeit vom Fieber befallen und hauchte um Mitternacht seine Seele aus. Und sofort ward dies Bischof Vricius durch ein Gesicht enthüllt. »Stehet hurtig auf, sprach er zu den Seinen, daß wir noch eintreffen zur Bestattung unsres Bruders, des Vischofs von Tours«. Und als sie durch das eine Stadttor eingingen, siehe, da trugen sie gerade den Toten durch das andere Tor hinaus. Nach der Bestattung aber bestieg Bricius wieder seinen Bischofsstuhl und lebte noch glücklich sieben Jahre danach. Als er siebenundvierzig Jahre das Bistum bekleidet hatte, starb er, und es folgte ihm der heilige Eustochius, ein glänzendes Muster heiligen Wandels.
Richtiger vielleicht Brictioz vgl. L. Duchesne, Fastes öpjscopaux de III-naienne Gkaule Il, 303. ↩
Als Vricius schon vom Diakon zum Priester geweiht war. ↩
Witwen und fromme Jungfrauen, die ein keusches Leben zu führen gelobteik ohne in ein Kloster zu treten, legten ihre weltlichen Kleider ab und nahmen Nonnenklerdung und den Schleier an. ↩
