Siebzehntes Kapitel Über das Falsche. Überleitung.
„Selig der Mann, dessen Hoffnung der Name Gottes ist: der nicht blickt auf Eitelkeiten und falsche Sinnlosigkeiten.“ Nie sollte ein solcher Mann nicht selig zu preisen sein, welcher immer die Wahrheit als die Richtschnur seines Handelns nimmt! Denn damit hat er zugleich Gott zu seiner Richtschnur, der die Wahrheit selber ist und der da alles Wahre, was in den Dingen ist, bis auf die wahren Aussagen hin, als sein eigenstes Eigentum beansprucht. Es giebt keine Wahrheit außer Gott; sei es daß sie in seinem Sein enthalten ist sei es daß Er sie bewirkt, indem Er der Wirkung seine Ähnlichkeit aufprägt. Erst von Gott hat jegliches Ding, hat jeglicher Satz seine Wahrheit; und eine Wahrheit, welche Gott als „objektiv“ vom Gegenstande selbst aus entgegenträte, ohne daß sie den Charakter des Wahren Ihm schuldete, giebt es nicht. Wer also der Wahrheit folgt, der folgt eben damit den Spuren der Gottheit. Und wie muß ein solcher Mann zudem selig sein, da er in sich eine Natur trägt, die mehr als alle sichtbaren Dinge zum Wahren durchaus drängt! „So sehr,“ sagt Augustin (Enchir. 7.) „flieht die vernünftige Natur zurück vor dem Falschen, daß getäuscht zu werden selbst jene fürchten, welche selber ihrerseits gerne täuschen.“ Selig also ist ein solcher Mann, der nicht auf das Falsche blickt, denn er führt damit zugleich sein eigenes Herz der Ruhe entgegen; so ist auch das Auge zufrieden, wenn ein schönes Farbengebilde ihm entgegentritt. Wie kommt es dann aber, wenn vom Gegenstande sowohl, von Gott also her als auch vom eigenen Innern aus der Mensch zur Wahrheit, gewissermaßen instinktmäßig, getrieben wird, daß der Prophet sagt: „Höret das Wort des Herrn, ihr Kinder Israels, des Herrn Gericht bricht herein über die Erde. Denn weder Wahrheit, noch Barmherzigkeit, noch die Wissenschaft von Gott ist auf Erden. Fluch und Lüge ... haben die Erde erfüllt!“ Wie kann das Falsche solche Herrschaft gewinnen, daß selbst jene, die da aufgestellt sind zur Leitung, gemäß dem Falschen leiten; wie der Prophet Dauert: Deine Propheten haben Falsches für dich gesehen und Thörichtes; und den Mund haben sie nicht aufgethan, daß sie dich zur Buße ermahnten; falsche Unterstellungen und falsche Ergebnisse haben sie für dich geschaut.“ Und der Psalmist wiederum klagt wie über ein alIgemein verbreitetes und geradezu unheilbares Übel: „O Kinder der Menschen; bis wohin wird Euer Herz schwer sein;, daß ihr die Eitelkeit liebet und nach der Lüge forschet!“ Woher kommt es, daß die Wahrheit von allen Seilen den Menschen umgiebt von den Dingen und von der eigenen Vernunft aus, von dem eigenen Urteil und der eigenen Thätigkeit her; — und daß trotzdem, wie schon die tägliche Erfahrung lehrt, die Lüge, das Falsche, so sehr anzieht! Die Wahrheit selber ist davon wieder der unschuldige Grund, insoweit der Mensch es verschmäht, ihr ganz zu folgen und bei einem Teile derselben für sich endgültig stehen bleibt. Nichts kann schließlich anziehen, wie die Wahrheit, wie das Gute. „Im Bilde geht der Mensch vorüber.“ In imagine pertransit homo. Plato sagt in seiner Beschreibung eines Staates (de republ. c. 7.): „Wenn eine tiefe und weite Höhle unter der Erde wäre, in welcher etliche Menschen geboren wären und auf dem Boden lägen, ohne den Kopf erhehen zu können; und gesetzt nun, mitten in dieser Höhle wäre eine große Fackel, bei deren Licht man an der Wand sähe den Schatten und die Bildnisse der Dinge, welche wahrhaft auf Erden sind ; — diese unglücklichen Leute, welche den Schatten anschauten, würden vermeinen, daß diese Bildnisse etwas wären, weil sie niemals etwas Dauerhafteres und Vortrefflicheres gesehen hätten. Wenn aber einer von ihnen aus diesem finsteren Orte in unsere Welt hineintreten würde, so möchte er sich verwundern in Anschauung der Sonne, der Sterne, der Elemente und anderer Kreaturen; ja er würde aufs äußerste verachten, was er zuvor in seiner finsteren Höhle gesehen hätte, vielmehr würde er selbiges für einen Scherz und leere Eitelkeit erachten gegenüber den wahren Wunderdingen der Natur.“ Im Bilde geht der Mensch vorüber.“ Schau' in das vorüberfließende Wasser; die Welle nimmt im nämlichen Augenblicke die Form deines Antlitzes an und strahlt sie wieder, in welchem sie an. deinem Auge vorüberrollt. Sie rollt vorüber; dein Bild hat sie getragen. Vermögen, Möglichkeit hat Gott der Natur zu eigen gegeben. Er allein ist reine Wirklichkeit. Aber das Vermögen der Natur nimmt teil an dieser Wirklichkeit, wenn es unter dem belebenben und wirksamen Blicke des Herrn der Welt sich befindet. Ohne Ende ist das Vermögen; eigen ist es dem einzelnen Geschöpfe in beschränktester Weise; gleichsam fremd ist ihm das Wirkliche. Denn kaum hat es sich durch eine Wirklichkeit offenbart, so schüttelt es dieselbe auch schon ab, um gleich darauf wieder unter einer anderen Wirklichkeit zu erscheinen. Der Herr offenbart seine Macht durch das Vermögen der Kreatur; und um dieses Vermögen als einen Abglanz von Ihm selbst, als ein Vermögen ohne Ende zu zeigen, wechselt diese Möglichkeit beständig ihr äußeres Gewand. „Das Wahre im eigentlichen Sinne, das Wahre dem Wesen nach,“ hatte oben Thomas gesagt, ist das, was da offenbart die zu Grunde liegenden, die nach Offenbarung, nach Äußerung rufenden Vermögen;“ manifestativum manifestati. Darin besteht die Wahrheit, daß das Vermögen der Natur beständig aufgefaßt wird unter der wirkenden Gewalt dessen, der ihm seinen Anfang gegeben. Ein Vermögen, das da immer dasselbe bleibt, wie etwa die menschliche Natur, wie die Natur des Wassers, der Luft und dgl. ist dann wahr, wenn es in seiner stets wechselnden Wirklichkeit immer die Krone des Höchsten trägt, immer auf den zeigt, der es gemacht. Es ist falsch, es fällt von seinem höhen Ursprünge ab, wenn es stehen bleiben möchte bei einer einzelnen Wirklichkeit. Halte die Hand gegen jene Schatten, welche die Höhle Platos beleben, die Bildnisse fahren fort, einzuwirken; aber für dich sind sie keine schönen BiIdnisse mehr, sondern Zerrgebilde. Halte den Tropfen auf, der vorbeifließt mit deinem Bildnisse geschmückt; er wird dir weder dein Bildnis zeigen, noch ein anderes; zerfließen wird er in einige wirre Farben getaucht; — und dann ist es vorbei. Wie kleinlich erscheint die Wirklichkeit des Goldes; vom Staube ist es geboren. Aber das Gold ist; — und unter dieser Wirklichkeit zieht es an, mag es auch nur ein Staubkorn sein; es offenbart sein inneres Vermögen. Und daß es zehnmal so groß sei oder hundertmal so groß; — hüte dich, dieses Vermögen für die Wirklichkeit zu halten. Heute schreibt der Arzt eine süße Medizin vor, morgen eine bittere. Für dich, o Mensch, willst du der Wahrheit getreu bleiben, ist es notwendig, daß du das Maß, welches der Schöpfer den Vermögen durch die Wirklichkeit beilegt, fortwährend einhältst. Läßt du dich verführen, willst du die Vermögen festhalten mit ihrem Charakter „ohne Ende“, so erklärst du dadurch nur,wenn auch wider Willen oder unbewußt, die anziehende Kraft der Wahrheit um so mehr, die selbst in diesen Vermögen, in den einfachen, noch nicht wirklichen und deshalb wertlosen Vermögen liegt, in solchen Vermögen, die da nur können etwas Wirkliches sein oder auch es nicht können. Du erkennst diese Wahrheit in deiner Vernunft an, die nach dem Unendlichen sich sehnt und im Endlosen, wo dies auch immer ist, ihre Vollendung sieht; — du selbst aber bist in Wirklichkeit inmitten des Falschen. Das Vermögen ist für dich kein wahres Vermögen mehr. Denn du hältst es zu deinem eigenen Nachteile auf, damit es nicht mehr leiste und in höherem Grade anziehe. Die Wirklichkeit, die schnell vorübereilt, kannst du nicht fassen, denn schon ist eine andere da. Du bist im Leeren; ein bloßes leeres Vermögen, eine schillernde Seifenblase schwebt vor dir; rührst du sie an, so platzt sie entzwei. Warum suchst du nach Eitlem?“ sagt der Psalmist. Du bist in der Lüge. Endloses Gold möchtest du, endlose Ehre, endlose Freude; das ist die Stimme deiner Vernunft, deren Gegenstand das Endlose ist. Aber du selbst hältst fest an diesem einzelnen Erscheinen, an dieser einzelnen Wirtlichkeit des Goldes, der Ehre, der Freude. Du klammerst dich an eine bestimmte begrenzte Einzelnheit an, die am Ende, insoweit du sie festhalten willst, gar. nicht wahrhaft besteht. Du folgst der Stimme deiner Sinne, die nur das Einzelne, Beschränkte, Wirkliche mit allen seinen Schranken sehen. Und so verlierst du beides: Vermögen und Wirklichkeit. Das Falsche allein bleibt dir; das Nichtseiende bleibt dir; du umfassest das Kichts. Die endlosen Vermögen sind sür dich in dem Falle allein endlos, wenn sie dich zum unendlichen Gute führen. Und sie führen dich zum unendlichen Gute, wenn du sie so an dir vorüberfließen läßt, daß das Bild des Höchsten, sein Wille, sein Gebot stets darauf thront. Bist du heute reich; sei es so, daß du auch morgen mit der Armut zufrieden bist; — das ist die Wahrheit. Bist du heute gesund; freue dich dessen so, daß auch die Krankheit dich nicht morgen in deiner Zufriedenheit stört. Bist du heute in Ehren; wolle nicht das Endlose im bloßen Vermögen festhalten; das wäre das Falsche. Steige vielmehr hinauf auf den Sprossen der Wirklichkeit bis dahin, wo der ewig Wahre selber die von Ihm geschaffenen Vermögen in ihrer eigentlichen Kraft offenbart; und zeige so, daß innere Ehre auch mit der äußeren Schande bestehe, ja dadurch nur um so vollgewaltiger werde; daß der wahre Reichtum im Innern durch äußere Armut nicht ge stört werden könne. Schein mit Sein verwechseln, das ist das Falsche. Der Schein kommt vom Wahren; und lockt eben deshalb an, weil er vom Wahren kommt; er ist, soweit er vom Wahren kommt, Wirklichkeit. Aber Schein wird er, wenn der Mensch ihn festhalten mochte. Wesen mit Wirklichkeit, Vermögen mit Thatsächlichkeit verwechseln, das ist das Falsche. Im Mittel den Zweck sehen, das ist das Falsche; was jedoch trotzdem immer in der Wahrheit seine Kraft hat und deshalb um so schmählicher es für dich macht; wenn du in ihm, im Falschen, deine Richtschnur erblickst. “ „Im Bilde geht der Mensch vorüber,“ in imagine pertransit homo. War es „falsch“, daß die Gottheit im Erlöser als Ohnmacht erschien; das Leben im Tode zeitliche Wirklichkeit gewann; der von den Engeln angebetete Ruhmesglanz in Spott und Hohn äußerlich sich offenbarte? Nein, das war nicht falsch! Denn im Bilde Gottes geht der Mensch vorüber“. Und was für eine Wirklichkeit der Herr den von Ihm geschaffenen Vermögen aufprägen will, daß sie darin vor der Schöpfung erscheinen; das ist das Wahre, das ist der Weg zum Wahren. Denn nur insoweit etwas von Gott kommt, ist es wahr. Oder war es nicht in der That die höchste Macht, welche durch die äußere Wirklichkeit des Todes getragen wurde? Die ganze Welt ist von dieser Macht überwunden worden. Die Welt gehorcht dem Tode Christi. Alles geschöpfliche Vermögen hat sich in seinem höchsten Glänze geöffenbaret, es hat sich geäußert in der scheinbar so armseligen Wirklichkeit des Todes. Sieh' da, wo das Falsche herrührt! Der Mensch meint, seine Vermögen seien groß und herrlich, wenn sie in ihrer Größe und Herrlichkeit auch erscheinen vor den anderen Kreaturen, die ihn umgeben. Nein; so ist es nicht. Mag der einzelne Mensch im Vergleiche zu den anderen Kreaturen noch so klein, noch so verächtlich der wirklichen Erscheinung nach sein; — gehorcht er Gott, sind seine Fähigkeiten thätig unter der einzig kräftigen, immerdar auftechtstehenden Wirklichkeit des götllichen Wesens; so ist er groß, er ist gewaltig, er ist unabhängig. Er gebraucht dann die Geschöpflichen Vermögen außer ihm nicht je nachdem sie vorübergehen und etwas sein können oder auch nicht sein können; er sammelt ihre ganze wirkliche Kraft in sich auf. Denn dessen Kraft leitet sie zu ihm und zu seinem Gebrauche durch die verschiedensten Wirklichkeiten, die Er verleiht, hindurch; Er leitet sie gemäß seiner eigenen Wahrheit, gemäß der Wahrheit der Dinge, gemäß der erhabenen menschlichen Natur selber, der da die Wahrheit und die Fülle ist, von dem alle andere Wahrheit und alle Vollendung, wie der Schatten vom Lichte kommt. Und deshalb ist in der That „selig der Mann, der auf seinen Gott vertraut und der nicht blickt auf die falschen Sinnlosigkeiten und auf die Lüge.“
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