Erster Artikel. In Gott ist Liebe.
a) In Gott scheint keine Liebe zu sein. Denn: I. In Gott ist nichts Leidenschaftliches. Die Liebe aber ist etwas Leidenschaftliches. Also ist sie nicht in Gott. II. Liebe, Zorn, Trauer u. dgl. sind Gattungen, in welche die nämliche „Art“, nämlich die in den Sinnen begründete Neigung oder Abneigung, also mit einem Worte die Leidenschaft, zerfällt. In Gott aber ist kein Zorn und keine Trauer oder dgl. Also ist da auch keine Liebe. III. Dionysius sagt (de div. nom. c. 4.): „Die Liebe ist ene einigende verbindende Kraft.“ Das fällt aber in Gott fort, dessen Wesen und Sein durchaus einfach ist. Auf der anderen Seite sagt Johannes (I. 4, 16.): „Gott ist die Liebe.“
b) Ich antworte, daß in Gott notwendigerweise Liebe sein muß. Denn die erste Bewegung des Willens sowie jeglichen Begehrungsvermögens ist „Liebe“. Da nämlich der Willensakt ebenso wie jeder Akt des Begehrens im allgemeinen auf das Gute und Böse, also auf den ihm eigentümlichen Gegenstand sich richtet; das Gute aber an und für sich und kraft seiner selbst das Begehrungsvermögen anzieht und das Übel nur in zweiter Linie, nicht durch sich, sondern durch anderes, insofern es nämlich ein Gut entfernt; — so müssen iher ganzen Natur nach diejenigen Willensakte früher sein, welche das Gute als Gutes berücksichtigen, wie jene, die auf das Böse sich richten. Wie also der Natur des Begehrungsvermögens nach die Freude früher ist als die Trauer, so muß die Liebe ebenso früher sein, als der Haß. Denn immerer ist das, was der Natur einer Sache entspricht, also ihr an und für sich zukommt, früher als das, was ihr nur nebensächlich durch Vermittlung und mit Rücksicht auf etwas Anderes zukommt. Und ebenso ist früher das, was allgemeiner ist. Deshalb hat die Vernunft früher Beziehung zum Wahren im allgemeinen wie zu besonderen einzelnen Wahrheiten. Nun giebt es aber einige Akte des Willens und überhaupt jeden Begehrens, welche auf das Gute unter einer gewissen Beschränkung sich richten; wie z. B. die Freude und das Ergötzen wohl ein Gut berücksichtigt, aber unter dieser Beschränkung, daß es bereits besessen wird. Die Liebe jedoch geht auf das Gute ganz im allgemeinen, mag es bereits besessen werden oder nicht. Somit ist die Liebe der allererste Akt des Willens und deshalb erscheint er als die Voraussetzung für alle anderen Willensbewegungen, gleichsam als die erste Wurzel derselben. Keiner nämlich verlangt etwas Anderes wie das geliebte Gut. Keiner freut sich an anderem, wie am geliebten Gut. Der Haß richtet sich auf nichts Anderes als auf den Gegensatz zum geliebten Gut. Ähnlich läßt sich auch die Trauer u. dgl. auf die Liebe als auf das erste Princip zurückführen. Wo also Wille ist oder etwelches Begehren, da muß auch Liebe sein. Sonst hätte der Wille gar keinen Akt, denn er hätte keinen Gegenstand. Denn fällt der erste fort, die Wurzel oder das Princip aller übrigen, so müssen auch diese anderen fortfallen. In Gott aber ist Wille. Also ist in Ihm auch Liebe. I. Die Erkenntniskraft bewegt und bestimmt nur, insoweit sie selber von der Begehrungskaft bewegt ist, die ja als nächsten und eigensten Gegenstand den Zweck hat als die Richtschnur von allem. Wie aber in uns der allgemeine Seinsgrund, die geistige Idee, nur bewegt und bestimmt gemäß den besonderen nach Zeit und Ort gebildeten Auffassungen; so bewegt und bestimmt auch das geistige Begehrungsvermögen, der Wille, in uns nur gemäß dem sinnlichen besonderen Begehren. Nicht das Pferd im allgemeinen wird unmittelbar begehrt; sondern erst gemäß der Schönheit, der Kraft, der Farbe des einzelnen Pferdes formt sich das betreffende Begehren. Also ist das sinnliche Begehren in uns immer die erste Veranlassung zum Begehren oder Wollen überhaupt. Somit begleitet auch immer diesen sinnlichen Begehrungsakt irgend eine körperliche Veränderung und zwar meistenteils um das Herz; das da erstes Princip der Bewegungen im tierischen Körper ist. Und aus diesem Grunde werden die Akte des sinnlichen Begehrungsvermögens, insofern mit ihnen eine körperliche Veränderung verbunden ist, Leidenschaften genannt; nicht aber die Akte des Willens. Soweit also die Liebe, die Freude, das Ergötzen die Thätigkeit des sinnlichen Begehrens bezeichnen, sind sie Leidenschaften; nicht jedoch soweit sie für die entsprechende Thätigkeit des geistigen Willens genommen werden. In dieser letzten Weise aber werden sie in Gott gesetzt. Deshalb sagt Aristoteles (7. Ethic.), „daß Gott sich kraft einer und einfacher Thätigkeit freut;“ und ebenso liebt Er ohne Leidenschaft... II. In den Leidenschaften des sinnlichen Begehrens muß etwas als das materiale, bestimmbare und die Entwicklung subjektiv tragende Element bezeichnet werden; und etwas Anderes als das bestimmende, formale, innerlich entwickelnde. Das erstere ist die körperliche Veränderung; wie beim Zorne das Warmwerden des Blutes um das Herz herum oder Ahnliches. Das zweite hält sich von seiten des Begehrens; wie beim Zorne das Trachten nach Rache. Und wiederum auf seiten dessen, was formal aber bestimmend ist, muß bemerkt werden, daß der Natur nach oft eine Unvolllommenheit darin enthalten ist; wie im Verlangen, das sich ja als solches auf ein noch nicht besessenes Gut richtet, oder in der Trauer, deren Gegenstand ein gegenwärtiges Übel ist. Manchmal liegt aber in diesem formalen Elemente keinerlei Unvolllommenheit wie bei der Liebe und der Freude. Nun kommt also Gott zu allererst, wie eben bemerkt worden, in keiner Weise das materiale, bestimmbare Element zu; dennn Er ist nichts Köperliches. Aber auch was im formalen Elemente für Unvolllommenheiten vorhanden sind, die müssen von Ihm ferngehalten werden und können höchstens figürlich kraft der Ähnlichkeit in der Wirkung (vgl. Kap. 2, Art. 2 ad 3. und Kap. 19, Art. 2) von Ihm gelten. Wo aber keine Unvollkommenheit eingeschlossen ist, wie bei der Liebe und Freude, das kommt Gott eigens zu. lll. Der Akt der Liebe strebt immer nach zwei Richtungen. Er will zuvörderst das Gute, was man jemandem wünscht; und dann richtet er sich auf den, dem man es wünscht. Denn das heißt jemanden lieben, ihm Gutes wollen. Darin daß jemand sich selbst liebt, will er für sich selbst Gutes; und so strebt er danach, dieses Gut mit sich zu vereinigen, soweit er kann. Nach dieser Seite wird die Liebe Einigungskraft genannt, auch in Gott; denn das Gute, was Er für Sich liebt, ist Er selber, der da kraft seines Wesens gut ist. Darin aber, daß jemand einen anderen liebt, will er diesem Gutes; und so steht dieser an der Stelle von ihm selbst und er bezieht das fragliche Gute auf diesen, dem er es will, wie auf sich selbst. Und nach dieser Seite wird die.Liebe Zusammenfassungskraft genannt; denn sie fügt zu sich einen anderen hinzu und hält auf ihn wie auf sich seIbst. Und so ist die Liebe auch in Gott zusammenfassende Kraft, denn Gott zieht alles dadurch zu Sich, daß Er anderen Gutes will.
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