Zweiter Artikel. Gott liebt alles, indem Er allen Sein giebt.
a) Es scheint dies nicht richtig zu sein. Denn: I. Dionysius sagt (de div. nom. cap. 4): „Die Liebe, stellt den Liebenden gleichsam außer sich selbst: und trägt ihn gleichsam in den Geliebten.“ Es ist aber unzuträglich, von Gott zu sagen, die Liebe stelle Ihn außer Ihn selbst und träge Ihn in anderes über. Also liebt Gott nichts Anderes. II. Die Liebe Gottes ist ewig. Was aber nicht Gott ist, das is nur ewig, insoweit es in Gott ist. Also Gott liebt nur Sich selbst, da das Andere, insoweit es in Ihm ist, eben nur Er selbst sein kann. III. Eine doppelte Liebe giebt es: die der Begierde und die der Freundschaft. Gott aber liebt nicht die unvernünftigen Kreaturen mit der ersten Art Liebe; denn Er bedarf keiner Kreatur. Er liebt sie auch nicht mit der Liebe der Freundschaft, weil Freundschaft mit unvernünftigen Wesen nicht bestehen kann. (8. Ethic. cap. 2.) Also Gott liebt nicht alles. IV. Ps. 5. 7. heißt es: „Du hassest alle, die unrecht thun.“' Nichts kann aber zugleich gehaßt und geliebt werden. Also liebt Gott nicht alles. Auf der anderen Seite sagt das Buch der Weisheit (11, 25.): „Du liebest alles, was ist und nichts hassest Du von dem, was Du gemacht hast.“
b) Ich antworte, daß Gott Alles liebt, was existiert. Denn Alles», was existiert, ist gut, insoweit es Sein hat. Das Sein selbst nämlich ist ein gewisses Gut; und ähnlich verhält es sich mit jeglicher Vollendung des Seins. Es ist aber oben gezeigt worden, daß Gottes Wille Alles verursacht, soweit es ist. Deshalb ist es notwendig, daß inwieweit etwas Sein hat, es auch insoweit gewollt ist von Gott. Jeglichem Dinge also, das da besteht, will Gott etwas Gutes. Da nun „lieben“ nichts Anderes ist als einem Gutes wollen, so liebt Gott Alles, was ist. Er liebt es aber nicht wie wir. Denn weil unser Wille nicht die Ursache für die Güte der Dinge ist, sondern vielmehr von dem, was in den Dingen als Gut erscheint, bestimmt und bewegt wird, wie vom Gegenstande; so ist unsere Liebe, kraft deren wir einem Gegenstande Gutes wollen, nicht die Ursache davon, daß dieser gut und insoweit vollendet ist. Vielmehr ruft im Gegenteil diese Güte oder Vollendung im Gegenstande, mag sie wahr oder bloß anscheinend sein, die Liebe in uns hervor, durch welche wir wollen, daß ihm das Gute und die entsprechende Vollendung bewahrt bleibe und daß ihm hinzugefügt werde, was er noch nicht besitzt; und auf dieses wirken wir hin. Die Liebe Gottes aber schafft; sie gießt in die Dinge ein, wodurch sie gut und vollendet sind.
c) I. Der Liebende wird hinübergetragen zum Geliebten, insoweit er diesem Gutes will und in seiner Fürsorge ihn beim Wirken ansieht wie sich selbst. Deshalb sagt Dionysius (4. de div. nom.): „Ich wage aber auch dies der Wahrheit gemäß zu sagen, daß Gott selber als Ursache von allem vermöge der überfließenden Güte seiner Liebe aus Sich selber heraustritt, insoweit Er auf alles Existierende seine Fürsorge erstreckt.“ II. Eben weil dic Kreaturen von Ewigkeit her in Gott sind, erkennt sie Gott von Ewigkeit her in den ihnen eigenen Naturen und nach Richtschnur dieser liebt Er sie wahrhaft von Ewigkeit; wie auch wir vermöge der Ähnlichkeiten in uns die Dinge erkennen, insofern sie in sich selbst existieren. III. Die Liebe der Freundschaft kann nur auf die vernünftigen Wesen sich erstrecken, welche wieder lieben können, die da Gemeinfchaft haben in den Thätigkeiten des Lebens und denen es schlecht oder gut geht gemäß dem Glück oder Unglück, das sie trifft; sowie auch Wohlwollen nur betreffs ihrer existieren kann. Also liebt Gott die unvernünftigen Kreaturen nicht mit der Liebe der Freundschaft, sondern gewissermaßen mit der Liebe der Begierde, insoweit Er sie hinbezieht auf die vernünftigen Kreaturen und auch auf Sich selbst; nicht als ob Er derselben bedürfte, sondern auf Grund seiner Güte und wegen unseres Nutzens. Wir begehren nämlich etwas so wohl für uns wie für andere. IV. Ein und dasselbe kann nach einer Seite hin geliebt, nach der anderen Seite hin gehaßt werden. Gott liebt die Sünder, insoweit sie die vernünftige Natur besitzen; denn in dieser Weise haben sie Sein und sind gut. Insoweit sie aber Sünder sind, haben sie nicht Sein, sondern entfernen sich von selbem; und das ist bei ihnen nicht von Gott, so daß sie danach von Gott gehaßt werden.
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