Erster Artikel. In Gott ist Vorsehung.
a) Es scheint, daß Gott eine Vorsehung nicht zukommt. Denn: I. „Die Vorsehung ist ein Teil der Klugheit,“ sagt Cicero (2. de invent.). Da aber die Klugheit dazu dient, die Beratschlagung zu leiten, kann sie nicht in Gott sein, der ja nie zweifelt; also auch nicht notwendig hat, sich Rats zu holen. II. Was auch immer in Gott sich vorfindet, ist ewig. Die Vorsehung aber ist nicht ewig; denn sie hat zum Gegenstande das zeitlich Existierende. Also ist die Vorsehung nicht in Gott. III. Die Vorsehung schließt den Willen und die Vernunft in sich ein; ist also etwas Zusammengesetztes, was in Gott nicht sein kann. Auf der anderen Seite heißt es Sap.16, 3.: „Du aber,Vater, leitest alles.“
d) Ich antworte, daß in Gott eine Vorsehung angenommen werden muß. Denn alles Gute, was in den Dingen sich vorfindet, ist von Gott geschaffen. In den geschöpflichen Dingen besteht aber nicht nur Gutes, soweit sie eine dauernde Substanz besitzen, sondern auch insoweit sie in wechselseitiger Ordnung auf einen Zweck hin bezogen werden und zwar zumal auf den letzten Endzweck, der kein anderer ist als die göttliche Güte. Dieses Gut also der Ordnung rücksichtlich des Zweckes in den Dingen selber ist von Gott geschaffen. Da aber Golt vermittelst seiner Vernunft schafft und demnach der maßgebende Grund einer jeden von seinen Wirkungen in seiner Vernunft vorher existieren muß, so ist es erforderlich, daß der maßgebende Grund für die Ordnung in den Dingen in Gott vorher besteht. Dieser Grund nun für die Ordnung der Dinge zum Zwecke hin wird eben Vorsehung genannt. Denn sie ist der hauptsächliche leitende Teil der Klugheit, welchem die beiden anderen Teile dienen müssen: nämlich das Gedächtnis des Vergangenen und das Verständnis des Gegenwärtigen; insofern wir aus der Erfahrung des Vergangenen und dem Verständnisse des gegenwärtig vorliegenden Schlüsse bilden auf die Ordnung, welche in dem, was zukünftig ist, zu setzen sei. Der Klugheit aber ist es nach Aristoteles eigen (5 Ethic. c. 12.), anderes zu einem beliebigen Zwecke hin zu beziehen, sei es mit Rücksicht auf die eigene Person, wie z. B. ein Mensch klug genannt wird, der seine Handlungen wohl ordnet auf den Zweck seines Lebens hin; — sei es mit Rücksicht auf andere, Untergebene in der Familie, oder in der Stadt, oder im ganzen Reiche, wo nach Matth. 24. gesagt wird: „Der treue kluge Knecht, welchen der Herr gesetzt hat über seine Familie.“ Und nach dieser letzteren Seite hin wird Gott die Vorsehung zugeschrieben. Denn in Gott selbst ist nichts, was zum Zwecke hinbezogen werden kann, da Er selbst der letzte Zweck von allem ist. Der maßgebende Grund also in der göttlichen Vernunft, nach welchem alle Dinge zweckdienlich und gültig geordnet sind, heißt Vorsehung. Deshalb sagt Boëtius (4. de consol. pros. 6.): „Die Vorsehung ist der von Gott selber ausgehende Grund, welcher im allgebietenden Herrn feststeht und nach welchem alles geleitet wird.“ I. Aristoteles definiert folgendermaßen die Klugheit (6 Ethic. 9.): „Die Klugheit schreibt das vor, was die gewissenhafte Beratschlagung ergeben und das Gewissen für gut befunden hat.“ Obgleich nun es Gott nicht geziemt, zu beratschlagen wie über etwas Zweifelhaftes; jedoch ist es Seiner würdig, die Ordnung den Dingen aufzulegen, also zu befehlen, wie sie zum letzten Zwecke hin Beziehung haben sollen, nach dem Psalmisten (148, 6.): „Die Vorschrift hat Er gegeben; und sie wird nicht vorübergehen.“ Danach also kommt Gott das Wesen der Klugheit und der Vorsehung zu. Es kann jedoch auch gesagt werden, daß der für die Ordnung der Dinge maßgebende Grund in Gott selber „Ratschluß“ genannt wird; nicht als ob derselbe das Ergebnis des Nachforschens sei, sondern wegen der Gewißheit im Erkennen, zu welcher der Beratschlagende vermittelst des Nachforschens gelangt. Und so wird Ephes. 1, 11. von Gott gesagt: „Der da alles thut nach dem Ratschlüsse seines Willens.“ II. Zur Vorsehung gehört sowohl der maßgebende Grund der Ordnung — und der ist ewig; als auch die Ausführung oder die Regierung danach — und das ist zeitlich. III. Wollen und Erkennen ist in Gott dem thatsächlichen Sein nach ein und dasselbe. Also ist da von einer Zusammensetzung nicht die Rede, auch wenn die Vorsehung gleichmäßig auf Wissen und Wollen Rücksicht nähme. Letzteres ist aber nicht einmal der Fall. Denn die Vorsehung ist in der Vernunft allein und setzt das Wollen des Zweckes nur voraus. Keiner nämlich schreibt vor über das, was sich auf den Zweck bezieht, ohne daß er den Zweck vorher wollte. Und eben deshalb setzt auch die Vorsehung alle moralischen Tugenden voraus, welche den Willen auf das Gute richten.
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