Vierter Artikel. Die Vorsehung Gottes und ihr Verhältnis zur Notwendigkeit in den Dingen.
a) Es scheint, daß die göttliche Vorsehung allem, was geschieht, Notwendigkeit aufprägt. Denn: I. Jede Wirkung, deren Ursache bereits besteht oder schon vorher war und aus welcher sie mit Notwendigkeit folgt, ist selber eine innerlich notwendige. Die Vorsehung Gottes aber besteht von Ewigkeit und ihr folgt notwendig ihre Wirkung; was Gott nämlich vorgesehen, das muß geschehen. Also sind alle Dinge notwendig. II. Wer vorsorgt, der thut es so, daß sein Werk so fest als möglich sei, damit er nicht vergeblich volsorge. Gott aber ist im höchsten Grade mächtig. Also teilt Er den von Ihm vorgesehenen Dingen die Festigkeit des Notwendigen zu, daß sie gar nicht anders sein können. III. Boëtius sagt (de consol. 4. pros. 6.): „Das Schicksal geht aus von den unbeweglichen Principien der Vorsehung und fügt das Glück und die Thätigkeiten der Menschen in unlösbarem Bande der Ursachen zusammen.“ Daraus folgt, daß von der Vorsehung Notwendigkeit in die Dinge fließt. Auf der anderen Seite sagt Dionysius (4. de div. nom.): „Daß die Natur verdirbt oder vergeht, das ist keine Wirkung der göttlichen Vorsehung.“ Das ist aber manchen Dingen von Natur aus eigen, daß sie sein und nicht sein können. Also prägt die göttliche Vorsehung den Dingen keine Notwendigkeit für das Sein auf, indem, sie etwa die Kontingenz dessen, was der eigenen Natur nach sein oder auch nicht sein kann, ausschlösse.
b) Ich antworte, daß die göttliche Vorsehung wohl manchen Dingen Notwendigkeit im Sein aufprägt; nicht aber allen. Der Vorsehung nämlich ist es eigen, die Dinge zum Zwecke hinzuordnen. Nach der göttlichen Güte nun, welche den Hauptzweck der Dinge bildet und zwar jenen Zweck, der außerhalb der Dinge dem Wesen nach getrennt für sich existiert, ist die Vollendung des All der Zweck aller Dinge, sowie derselbe in den Dingen selber ihrer eigenen Natur gemäß vorgezeichnet ist. Diese Vollendung des All aber würde nicht statthaben, wenn nicht alle Seinsstufen in der Welt vertreten wären. Somit gehört es mit zur göttlichen Vorsehung, alle Seinsstufen hervorzubringen. Und deshalb hat Er manchen Wirkungen solche Ursachen bereitet, aus denen sie mit Notwendigkeit folgen; manchen aber solche, aus denen sie, immer mit Rücksicht auf diese nächsten Ursachen, folgen können, jedoch auch nicht folgen können.
c) I. Eine Wirkung der göttlichen Vorsehung ist es nicht nur, daß überhaupt und wie auch immer etwas besteht; sondern auch, daß es mit Notwendigkeit oder nicht mit Notwendigkeit besteht. Und deshalb geschieht dieses notwendig und unfehlbar, was die göttliche Vorsehung so bei sich bestimmt hat, daß es notwendig und unfehlbar geschehe; — und Anderes geschieht in der Weise, daß es seiner eigenen Natur nach auch nicht sein kann, nämlich das, was die göttliche Vorsehung in dieser Weise vorgesehen. II. Die Vorsehung Gottes und ihre Ordnung ist unverrückbar; weil alles demgemäß geschieht, wie es da seinen Grund als von Ihm vorgesehen hat. III. Das will auch Boëtius sagen; nicht daß die Wirkungen in sich notwendig seien. Dabei ist zu erinnern, daß „notwendig“ und „kontingent“, also sowohl das, was aus sich heraus nicht anders sein kann, also auch das, was aus sich heraus anders sein kann, aus der Natur des Seins an und für sich folgen. Und somit ist es Sache der Vorsehung Gottes, welche sich auf die Natur des Seins an und für sich richtet, also alles Sein als solches ordnet, vorzusehen, daß die einen Wirkungen mit Notwendigkeit folgen, die anderen solche Ursachen haben, aus denen sie auch nicht folgen können. Das ist nicht Sache der Vorsehung von seiten der besonderen und beschränkten Ursachen, die ja schon unter das allgemeine Gesetz fallen und gemäß demselben geordnet sind, so daß kraft der ersten Ursache und nicht kraft dieser nächsten beschränkten Ursachen die Wirkung mit Freiheit oder Notwendigkeit folgt.
