Zweiter Artikel. Alles ist der göttlichen Vorsehung unterworfen.
a) Dagegen spricht jedoch schon: I. Die bloße Existenz des Zufalls und des sogenannten Glücks. Denn wäre alles vorhergesehen, so bliebe der Zufall notwendig fort. II. Jeder, welcher mit Weisheit vorsieht, schließt den Mangel und das Übel aus. Wir sehen aber viele Übel in der Welt. Also entweder kann sie Gott nicht hindern und dann ist Er nicht allmächtig; oder Er hat nicht alles vorgesehen und dann erstreckt sich seine Vorsehung nicht auf alles. III. Was mit Notwendigkeit geschieht, bedarf keiner Vorsehung. Deshalb sagt Aristoteles (6 Ethic. cap. 4, 9,10 u. 11.): „Die Klugheit ist der Grund der Ordnung in dem, was sein kann und nicht sein kann, worüber beratschlagt und wovon eines ausgewählt wird.“ Aber vieles geschieht in den Dingen mit Notwendigkeit. Also sorgt die Vorsehung nicht für alles. IV. Wer auch immer sich selber überlassen wird, der unterliegt nicht der Vorsehung jemandes, welcher leitend bestimmt. Eccli. 15, 14. heißt es aber: „Gott bildete den Menschen im Anfange und überließ ihn der leitenden Hand seines Rates.“ Und zumal von den Bösen sagt der Psalmist (80, 13): „Ich habe sie überlassen den Begierden ihrer Herzen.“ Sie unterliegen also nicht der göttlichen Vorsehung. V. 1. Kor. 9, 9. sagt der Apostel ausdrücklich: „Gott hat keine Sorge um die Ochsen;“ und dasselbe gilt von allem Vernunftlosen. Auf der anderen Seite sagt das Buch der Weisheit (8, 1.): „Von Zweck zu Zweck reicht Gott mit unwiderstehlicher Kraft und leitet alles mit sanfter Milde.“
b) Ich antworte, daß manche die Vorsehung ganz und gar leugneten, wie Demokrit und die Epikuräer, die da meinten, die Welt sei durch Zufall entstanden. Andere wollten nur für die unvergänglichen Wesen eine Vorsehung annehmen; für die vergänglichen Einzelwesen aber, — denn die Gattungen an sich sind unvergänglich — erkannten sie keine Vorsehung an. In ihrer Person heißt es bei Job 22,14.: „Die Wolken sind sein Versteck. Er wandelt herum um die Säulen des Himmels und hat keine Sorge um uns.“ Rabbi Moses ist auch dieser Meinung; nur daß er mit Rücksicht auf die Vorsehung die einzelnen Menschen von den anderen Einzelwesen ausnimmt, „für sie sei eine Vorsehung auf Grund des Glanzes der Vernunft in ihnen.“ Dagegen ist es unumgänglich natwendig, zu behaupten, die Vorsehung erstrecke sich auf alles, nicht nur im allgemeinen, sondern auf jegliches Einzelne. Das erhellt folgendermaßen: Da jegliche wirkende Ursache um eines Zweckes willen wirkt, so erstreckt sich so weit die Hinordnung der Wirkungen zum Zwecke hin, wieweit sich die verursachende Kraft der ersten Ursache erstreckt. Denn von daher rührt es, wenn in den Werken einer wirkenden Ursache etwas erscheint, was dem vorgesteckten Zwecke nicht entspricht, daß dieses „etwas“ in der Wirkung von einer anderen Ursache kommt und deshalb außerhalb der Absicht der erstgenannten sich findet. Die verursachende Kraft Gottes aber, der die erste wirkende Ursache ist, erstreckt sich auf alles und jedes Sein; nicht nur soweit es die allgemeinen Principien der Gattung anbelangt, sondern auch mit Rücksicht auf alles Einzelne, mag dieses unvergänglich oder vergänglich sein. Also ist es notwendig, daß alles, was irgendwie Sein hat, von Gott hingeordnet sei zum Zwecke; wie der Apostel sagt: „Was zweckdienliche Ordnung in sich hat, das hat dies von Gott.“ Da also die Vorsehung nichts anderes ist als der in Gott bestehende maßgebende Grund der zweckordnung in den Dingen, so unterliegt alles, soweit es Sein hat, der göttlichen Vorsehung. Ähnlich ist bereits gezeigt worden, daß Gott alles kennt, das Allgemeine sowohl wie das Besondere. Und da nun seine Kenntnis sich zu den Dingen »erhält wie die Kenntnis, welche von der Kunftidee kommt,,zu den. Kunstwerken, so muß alles unter der Unordnung der göttlichen Kenntnis stehen, wie das Kunstwerk ganz und gar und in allen seinen Teilen der in der Kunstidee enthaltenen Ordnung unterliegt.
c) I. Anders verhält es sich mit der allgemeinen Ursache und anders mit einer im Wirken beschränkten, besonderen Ursache. Dem Bereiche der Ordnung, welche die letztgenannte Gattung von Ursachen auflegt, kann etwas entzogen werden; nämlich dann, wenn die eine beschränkte Ursächlichkeit durch eine andere beschränkte in ihrem Einwirken gehindert wird; wie z. B. die verursachende Kraft des Feuers im Holze, das Verbrennen, gehindert wird durch die verursachende Kraft des Wassers. Das kann aber nicht stattfinden bei der allgemeinen, in ihrem Wirken alles umfassenden Ursache, von welcher die besonderen und beschränkten Ursachen es haben, daß sie irgend welche Kraft entwickeln. Dem Bereiche der allgemeinen Ursache kann sich nichts entziehen. Mit Rücksicht also auf die betreffende beschränkte Ursache kann etwas als Zufall bezeichnet werden; wie im obigen Beispiele das Löschen, welches vom Wasser ausgeht, zufällig ist für das Einwirken des Feuers. Mit Rücksicht aber auf die allumfassende Ursache ist nichts als Zufall zu bezeichnen. So wäre etwa das Zusammentreffen zweier Diener zufällig für diese selbst; für den Herrn aber, der sie beide mit Vorwissen an diesen Ort geschickt hat, ist es vorgesehen, daß der eine vom anderen nichts weiß; daß also für sie beide das Zusammentreffen zufällig ist. II. Anders ist zu beurteilen jener, dessen Fürsehen über das Ganze sich erstreckt; und anders jener, dessen Sorge nur ein Teil im besonderen anvertraut ist. Der letztere wird den ihm überlassenen Teil so gut wie möglich machen und jeglichen Mangel nach Kräften davon ausschließen. Der aber für das Ganze vorsorgt, der wird in den Teilen manche Beschränkungen und Mängel lassen, damit das Ganze um so schöner hervortrete. Demnach muß von den Mängeln in den Dingen der Natur gesagt werden, daß sie gegen die einzelne besondere Natur sind. Sie sind jedoch beabsichtigt von der allumfassenden Ursache der Natur als eines Ganzen, insoweit der Mangel des einen dem Besten des anderen dient oder schließlich dem Besten des All. Denn das Verderben oder Vergehen des einen ist die Erzeugung des anderen; und dadurch wird die Einheit der Gattung bewahrt. Da nun also Gott für das Ganze der Kreaturen vorsorgt, so erstreckt sich darauf seine Vorsehung, daß einzelne Mängel in den besonderen beschränkten Dingen sind, damit das Beste des Universum nicht gehindert werde. Denn wenn alles Übel aus der Welt verschwände, so würde vieles Gute fehlen. Denn z. B. das Leben des Löwen würde nicht bestehen ohne die Tötung anderer Tiere; und die Geduld des Märtyrers würde nicht vorhanden sein, wenn die Tyrannen nicht verfolgten. Augustin sagt deshalb (Enchir. 11): „Der allmächtige Gott ist so gut, daß Er keine Übel in der Welt dulden würde, wenn Er nicht bis zu dem Grade gewaltig wäre, daß auch das Übel Ihm dient zu größerem Gute. Diese beiden Gründe, der Zufall und das Übel, scheinen den Irrtum veranlaßt zu haben, daß das Vergängliche der göttlichen Vorsehung nicht unterliege, denn eben das Vergängliche ist der Sitz des Zufalls und des Übels. Wir haben diese Gründe nun gelöst. III. Der Mensch ist nicht Urheber der Natur; sondern gebraucht nur zu seinem Nutzen die Dinge der Natur gemäß dem Wesen, das sie einmal haben. Seine Vorsehung also in den Werken der Kunst und der Tugend erstreckt sich nicht auf das Notwendige, was aus dem Wesen der Dinge kommt. Gott aber ist der freie Urheber der ganzen Natur. Und dieser Grund scheint den Irrtum veranlaßt zu haben, daß der natürlich notwendige Lauf der Dinge einer Vorsehung nicht bedürfe, sondern, wie Demokrit und andere meinen, aus der Notwendigkeit hervorgehe, welche im Stoffe selber diesem die Entwicklung vorschreibe. IV. Daß Gott den Menschen sich selbst überlassen hat, das entzieht denselben nicht der Vorsehung, sondern zeigt nur an, daß seine Willenskraft von sich aus nicht auf eine einzelne bestimmte Gattung von Wirkungen notwendig gerichtet ist; wie das bei den Dingen der Natur stattfindet, welche nur immer dasselbe wirken, wie der Stein z. B. sich selbst überlassen, immer fällt und die Pflanze nur eine bestimmte Art Blüten und Früchte hat; und die zudem den Grund für diese einzelne Wirkung nicht in sich haben, also nicht sich selber zum Zwecke hin richten, sondem immer von außen her dahin gerichtet werden. Die mit freiem Willen ausgestatteten Wesen haben in sich den Grund ihres Wirkens und richten somit sich selber zum Zwecke hin, sie beraten sich und wählen aus. Aber dieser Akt des freien Willens selber hat in Gott seine Ursache und somit ist es erforderlich, daß alles, was aus freiem Willen geschieht, der göttlichen Vorsehung unterliege. Denn die Vorsehung, die vom Menschen ausgeht, ist enthalten in jene, welche von Gott ausgeht wie eine besondere, beschränkte Ursache unter der allgemeinen; und hat somit alle Kraft und jegliche Zweckbestimmung in jedem einzelnen Falle aus dieser. Gegenüber den Gerechten übt dann noch Gott in ausgezeichneterer Weise seine Vorsehung aus, insoweit Er von ihnen fernhält, was ihr ewiges Heil hindern könnte; denn „denen, die Gott lieben, gereichen alle Dinge zum Besten“. (Röm. 8.) Aus dem Grunde allein aber, daß Er die Gottlosen nicht zurückzieht vom Übel der Schuld, wird von Gott gesagt, Er lasse sie gehen; nicht als ob sie ganz und gar von seiner Vorsehung ausgeschlossen wären, sie würden in diesem Falle zu nichts werden. Und dieser Grund scheint Cicero bewogen zu haben, die menschlichen Dinge, behufs deren wir beratschlagen und wählen, von der Vorsehung Gottes auszuschließen. V. Die vernünftige Kreatur untelliegt in einer besonderen Weise der göttlichen Vorsehung; so nämlich, daß ihr etwas als Schuld oder Verdienst angerechnet und danach Strafe oder Lohn bemessen wird. Und nach dieser Seite hin schließt der Apostel die Ochsen von der Fürsorge Gottes aus; nicht weil sich letztere auf sie gar nicht erstreckte, wie Rabbi Moses meinte.
