Erster Artikel. Gut ist nichts anderes als was begehrenswert ist. .
Es entsteht hier zunächst die Frage, ob daß Gute ein und dasselbe sei dem wirklichen Sein nach wie das Sein der Existenz, ob also ein Ding dadurch selbst schon, daß es existiert, auch gut sei.
a) Das scheint nicht der Fall zu sein. Es scheint nämlich, daß nach der einen Seite der Wirklichkeit das Ding ist und daß es nach einer anderen gut ist. Denn: I, Boëtius sagt: „Ich schaue in den Dingen etwas anderes als Grund, daß sie sind und etwas anderes aks Grund, daß sie gut sind.“ Eine andere Wirklichkeit im Dinge ist deshalb das Gute und eine andere das Sein. II. „Gut wird etwas genannt, wenn der innere Wesensgrund das Sein ist;“ heißt es im Buche de causis. Nichts jedoch ist der Wesensgrund seiner selbst im Bereiche,des Geschöpflichen. Also darf nicht die Existenz als solche zugleich die Wirllichkeit des Guten sein. III. Gut kann etwas mehr oder minder sein. Die Existenz aber hat ein Ding oder hat sie nicht; da besteht kein mehr und minder. Gut und Existenz ist also für die Wirklichkeit nicht gleichbedeutend. Auf der anderen Seite sagt Augustin (doctrina christ. lib. I, c. 32.): „So weit wir sind, sind wir gut.“
b) Ich antworte, daß „Gutsein“ und „Existieren“ der Wirklichkeit nach ein und dasselbe sind; nur die Vernunft macht da einen Unterschied. Denn daß etwas „gut“ ist; dafür ist der Grund dies, daß es „begehrenswert“ ercheint; weil, wie Aristoteles sagt (I. ethic..), „gut ist, wonach alles sich sehnt.“ Offenbar aber ist etwas insoweit begehrenswert als es vollendet ist: denn jedes Ding will seine eigene Vollendung, begehrt also nach dem, wodurch es vollendet werden kann. Insoweit aber ist etwas vollendet, inwieweit es thatsächliche Wirklichkeit hat. Denn kein Ding kann ein anderes in seinem Bereiche vollenden, welches nicht selber die vom Gewirkten erforderte Vollendung besitzt. Also ist etwas insoweit offenbar gut, inwieweit es Sein hat. Das Sein nämlich ist nichts anderes, als die thatsächliche Wirklichkeit eines jeden Dinges; wie früher erklärt worden. (Kap. 3. Art. 4.; Kap. 4. Art. 1.) Also ist dem wirklichen Sein nach das Gute und die thatsächliche Existenz ein und dasselbe. Jedoch besagt der Ausdruck „gut“, daß dieses Sein begehrenswert ist, somit zu anderem Sein in Beziehung steht; und das besagt der Ausdruck „Sein“ oder „Existenz“ nicht.
c) Demnach erklärt sich die Stelle aus Boëtius. Denn nicht in derselben Weise wird etwas „gut“ genannt, wie von ihm das „Sein“ ausgesagt wird. „Sein“ nämlich besagt, daß etwas irgendwie thatsächlich bestehe. Das Thatsächliche aber steht gegenüber dem bloßen Vermögen. Danach also wird von etwas ausgesagt, es sei, wonach es in erster Linie sich unterscheidet vom reinen Vermögen, etwas zu werden. In erster Linie aber wird etwas aus dem Zustande eines reinen Vermögens entfernt durch das Sein, welches der substantialen Form im Dinge, also dem inneren Wesen folgt. Dadurch z. B. daß der einzelne Mensch das Wesen „Mensch“ hat, wird bewirkt, daß einfach und ohne weitere Umschweife ausgesagt wird: der Mensch ist; denn in diesem Falle besteht nicht ein bloßes Vermögen mehr, Mensch zu werden. Was dann zu diesem einfachen Sein des Menschen noch hinzukommt; danach erhält der Mensch kein anderes Wesenssein; sondern er hat dann nur noch ein weiteres Sein nach einer anderen Richtung hin. Das „Menschsein“ bleibt aber die innere Grundlage. Wird gefragt, was er ist, so wird geantwortet, er ist Mensch, wenn er auch dazu noch weiß ist oder schwarz, weise oder dumm. Alle diese weiteren Zusätze ändern nichts daran, daß er immer einfach „Mensch“ ist, was er von Anfang war, seit er das Sein der Existenz hatte. Gemäß diesem Anfang ist somit etwas. Das Gegenteil gerade findet beim „Guten“ statt. Denn „Gutsein“ bedeutet „begehrenswert“ sein. Begehrenswert sein aber kann nichts als dasjenige, was entsprechende Vollendung hat. Denn da jedes Ding seine eigene Vollendung will, so begehrt es nur nach dem, wovon diese Vollendung ausgehen kann, also nach dem, was bereits entsprechend vollendet ist. Vollendet sein aber und demgemäß begehrt werden, das hat nicht den Charakter des Anfangs, sondern des Endes, des Letzten. Das also wird einfach und ohne weiteres „gut“ genannt, was endgültig vollendet ist. Was aber noch nicht an das Ende seiner Vollendung gekommen, mag es auch eine gewisse Vollendung besitzen, das wird nicht einfach und ohne weiteres „gut“ genannt, sondern es ist „gut“ nur nach einer gewissen Richtung und bis zu einem gewissen Grade, also mit Einschränkung, unter Bedingung. Sonach wird von etwas einfach und ohne weiteres das „Sein“ ausgesagt gemäß seiner Wesensform, durch welche es vom einfachen Vermögen, etwas zu werden, von vornherein entfernt worden und nun auf einer gewissen Seinsstufe wirklich existiert. Gemäß dieser selben Wesensform aber wird etwas „gut“ genannt nicht einfach und ohne weiteres, sondern nur in gewisser Weise mit gewissen Zusätzen. „Mensch“ z. B. wird vom eintägigen Kinde einfach und ohne weiteres ausgesagt; aber „gut“ oder „vollendet“ nur nach Umständen, nämlich insoweit dem Kinde nichts fehlt zum einfachen und reinen Menschsein. „Gut“ aber ohne Bedingung wird etwas genannt, was an das Ende der Entwickelung gekommen, was allseitig vollendet ist und zwar wird es dann einfach und ohne weiteres „gut“ genannt. Dagegen ist diese letzte Vollendung wieder nur ein gewisses, bedingtes Sein, das da zum einfachen, zu Grunde liegenden Wesenssein später hinzutritt. Ist der Mensch tugendhaft, weise, stark, angesehen etc., so heißt es einfach: er ist gut. Nach diesem selben Maßstabe wird aber nicht ausgesagt einfach: er ist Mensch; sondern mit dem Zusätze: er ist ein weiser etc. Mensch. Boëiius kann seine Worte sonach mit Recht gebrauchen: „Ich sehe etwas anderes als Grund der einfachen Behauptung: es ist,“ des Seins, der Existenz; nämlich das Wesen als das erste, wonach etwas thatsächlich aIs seiend aufgefaßt wird; — und „ich sehe etwas anderes als Grund der einfachen Aussage: gut“, vollendet; nämlich den letzten Akt, die Vollendung. II. Danach ist auch der Ausdruck des lib. de causis zu verstehen. Das letzte Sein, der letzte Akt ist der Grund, daß man einfach sagt: gut ist es. III. „Mehr oder minder gut“ wird ausgesagt, nicht als ob das Wesen sich änderte, sondern weil zum Wesen, also zum ersten Seinsakt, wonach ausgesagt wird: es ist; mehr oder minder große Vollendung, also vollendendes Sein hinzutritt; z. B. Wissenschaft oder Tugend.
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