Fünfter Artikel. In den Engeln ist nur ein geistiges Erkennen.
a) Dies scheint nicht so. Denn: I. Augustin sagt (8. de civ. Dei 6.): „In den Engeln ist Leben, das geistig erkennt und empfindet oder fühlt.“ II. Isidor sagt, die Engel hätten vieles aus Erfahrung gelernt (I. de summo bono c. 2.). Die Erfahrung aber entsteht aus vielen Erinnerungen.(1 Metaph.) Also besteht im Engel ein Gedächtnis. III. Dionysius schreibt, daß in den Dämonen eine freche Phantasie sei. Phantasie aber ist ebensoviel als Einbildungskraft. Die Dämonen nun haben dieselbe Natur wie die Engel. Also ist in den reinen Geistern Einbildungskraft; und somit nicht bloß rein geistiges Erkennen. Auf der anderen Seite sagt Gregor der Große (29. hom. in Evg.): „Der Mensch hat das Empfinden gemeinsam mit den Tieren; das geistige Verstehen mit den Engeln.“
b) Ich antworte, daß in unserer Seele einige Kräfte walten, deren Thätigkeit an körperliche Organe gebunden ist; wie z. B. das Sehen an das Auge, das Hören an das Ohr gebunden erscheint. Andere Kräfte bestehen in uns, deren Thätigkeit ihrer Natur nach sich nicht vermittelst eines körperlichen Organs vollzieht, wie das geistige Erkennen und das Wollen; und dergleichen Thätigkeiten bilden nicht die Bethätigung einzelner stofflicher Organe. Da nun die Engel keine körperlichen Organe haben, so kann in ihnen nur geistiges Erkennen und Wollen sein. Und dies kommt der Ordnung des Ganzen zu, daß die höchste Kreatur durch und durch geistig erkennend sei und nicht zum Teil geistig, zum Teil sinnlich erkennend. Deshalb werden die Engel auch „erkennende Geister“ genannt und „Verstandeskräfte“.
c) Auf jene Stellen kann einmal erwidert werden, daß die betreffenden Autoren im Sinne derer sprechen, welche den Engeln Körper zuschrieben; wie dies Augustin häufig thut, ohne etwas damit behaupten zu wollen. Deshalb schreibt er (21. de civ. Dei. 10.), betreffs dieser Untersuchung müsse man sich nicht zu weit einlassen. Dann kann erwidert werden, jene Stellen seien gemäß einer gewissen Ähnlichkeit zu verstehen. So ist es den Sinnen eigen, in der Auffassung dessen, worauf sich ein jeder aus denselben seiner Natur nach richtet, sicher und zuverlässig zu sein; und danach wird auch ein zuverlässiges Urteil der Vernunft „Ansicht“ sententia (sentire) genannt. Erfahrung aber kann den Engeln zugeschrieben werden auf Grund der Ähnlichkeit auf seiten der gekannten Gegenstände; nicht wegen der Ähnlichkeit in der erkennenden Kraft. Denn von uns wird gesagt, wir hätten Erfahrung, wenn wir vieles Einzelne erkannt haben, freilich auf Grund der sinnlichen Erkenntniskraft. Es erkennen nun die Engel ebenfalls als Erkenntnisgegenstand vieles Einzelne; wenn auch nicht durch sinnliche Wahrnehmung. (Kap. 57, Art. 2.) Ein Gedächtnis aber kann von den Engeln thatsächlich ausgesagt werden, soweit dieses innerhalb der Vernunft ist (Augustin. 10. de Trin. 91.); aber nicht soweit es sich als eine Kraft der sinnlichen Seele darstellt. Auch die freche Phantasie wird den Dämonen deshalb zugeschrieben, weil sie, soweit ihr Wirken in Betracht kommt, eine falsche Schätzung des wahren Gutes kundthun. Bei uns aber vollzieht sich die Täuschung so recht eigentlich gemäß der Phantasie, nach welcher wir gewissen Ähnlichkeiten von Dingen bisweilen so anhängen wie den Dingen selber; was z. B. bei den Träumenden und den Wahnsinnigen der Fall ist.
