Erster Artikel. Die Formlosigkeit des Stoffes war nicht der Zeit nach früher als dessen Geformtheit.
a) Dagegen scheint zu sein: I. Gen. 1, 2: „Die Erde war leer und wüst“ oder „unsichtbar und formlos“ wie es in LXX heißt. Damit wird aber nach Augustin (12. Conf. cap. 12.) die Formlosigkeit des Stoffes angezeigt. Also war selbiger zuerst formlos und wurde erst später geformt. II. Die Natur ahmt in ihrem Thätigsein die Wirksamkeit Gottes nach. Im Thätigsein der Natur aber geht die Formlosigkeit der Zeit nach vorher. III. Der Stoff ist mächtiger wie eine rein von außen hinzutretende Eigenschaft, wie z. B. die weiße Farbe; denn er ist ein Teil der Substanz. Gott aber kann, wie z. B. in der heiligen Eucharistie, machen, daß solche Eigenschaften für sich bestehen. Also kann Er auch machen, daß der Stoff ungeformt sei. IV. Auf der anderen Seite bezeugt der Mangel an Vollendung in der Wirkung den Mangel an Vollendung im Wirkenden. Gott aber ist die vollkommenste wirkende Ursache, wie Deut. 32, 4. es heißt: „Gottes Werke sind vollendet.“ Also das von Ihm Ungeschaffene war niemals formlos. V. Die Geformtheit der körperlichen Kreatur ist die Folge des Werkes der Scheidung. Der Scheidung steht aber gegenüber die Vermengung oder Verwirrung. Ging also die Formlosigkeit der Zeit nach der Geformtheit vorher, so war im Anfange die Wirrnis oder wie die Alten dies nannten, das Chaos.
b) Ich antworte, betreffs dieses Punktes beständen verschiedene Ansichten unter den Heiligen. Denn Augustin (1. sup. Gen. ad litt. 15.) nimmt an, daß die Formlosigkeit des Stoffes in keiner Weise der Zeit nach der Geformtheit voranging, sondern daß das positive Vermögen etwas zu werden, nur der Natur nach zuerst vorhanden sein mußte, welches die Wesensform trüge und deren tragendes Subjekt sei, wie das Gewordene selber in seiner Bestimmtheit existierte. Andere aber wie Basilius (Hexaëm. hom. 2.), Chrysostomus (hom. 2. in Gen.), Ambrosius (1 Hexaëm. cap. 8.) nehmen an, der Stoff sei zuerst eine Zeit lang formlos gewesen, ehe er geformt wurde. Diese Meinungen scheinen aber weit mehr einander gesetzt zu sein; als sie es thatsächlich wenig sind. Denn Augustin faßt die Formlosigkeit des Stoffes anders auf wie Basilius, Chrysostomus und Ambrosius. Augustinus nimmt nämlich die Formlosigkeit des Stoffes als den Mangel an jeglicher Form; und so ist es unmöglich, daß die Formlosigkeit des Stoffes der Zeit nach früher war wie dessen Geformtheit oder dessen Geschiedensein. Und zwar ist dies ganz offenbar, soweit es die Geformtheit anbelangt. Wenn nämlich der formlose Stoff der Zeit und Dauer nach voranging, so war dieser doch bereits als ein thatsächlich existierender vorhanden. Denn nur was thatsächlich besteht ist der Zielpunkt des Erschaffens; das aber selbst, wodurch etwas thatsächliches Sein hat, ist die Form. Sagen also, der Stoff sei vorausgegangen ohne alle Form, ist dasselbe, als sagen, der Stoff sei thatsächlich, ohne daß er thatsächlich bestände. Es kann auch nicht gesagt werden, daß der Stoff eine allgemeine ununterschiedene Form zuerst gehabt habe und daß erst später zu ihm verschiedene, das eine vom anderen unterscheidende Formen oder Eigenschaften getreten seien. Denn dies wäre nichts Anderes wie die Meinung der Alten, welche annahmen, der Urstoff sei ein Körper dem thatsächlichen Bestehen nach, nämlich Feuer, Luft, Wasser oder etwas Dazwischenliegendes. Und dann würde nicht mehr etwas einfach werden, sondern es würde nur immer von einer reinen Veränderung an ein und demselben Dinge gesprochen werden können. Denn jene voraufgehende allgemeine, ununterschiedene Form würde machen, daß der Stoff eine Substanz, also dieses Etwas sei; und die hinzutretenden Eigenschaften würden das schon bestehende eine, nämlich das allem gemeinsame substantielle Sein nur zu einem so beschaffenen machen. Das wäre aber eben nur ein beiläufiges nebensächliches Anderswerden; es bliebe immer dieselbe Substanz. Nicht einen Menschen, eine Pflanze etc. gäbe es, sondern ein menschliches, ein pflanzliches etc. Wasser oder Feuer; oder es wäre eine immer dieselbe bleibende Urzelle, die unter dem Wesen „Mensch“, „Pflanze“, „Ei“, „Wurm“ nur andere Eigenschaften erhielte, dem Wesen und der Substanz nach aber immer das Nämliche wäre. Deshalb muß gesagt werden, der Urstoff sei nicht ohne jede Form geschaffen worden; und andererseits, er sei nicht unter ein und derselben ununterschieden allem und jedem zu Grunde liegenden substantialen Wesensform; sondern unter verschiedenen Formen. Und so, wenn die Formlosigkeit des Stoffes bezogen wird auf die Lage und die Verhältnisse des Urstoffes, der nach seiner Natur keine bestimmte Form von sich aus fordert, als ob er nur unter dieser einen Form Sein haben könnte, ging die Formlosigkeit des Stoffes der Formierung und dem Geschiedensein der Zeit nach nicht vorher, sondern nur der Natur nach; wie der Teil beim Werden dem Ganzen vorhergeht und wie erst ein Vermögen sein muß, ehe es thätig sein kann. Die anderen Heiligen aber betrachten als Formlosigkeit nicht den Mangel an jeder Form, sondern insoweit diese vorliegende Schönheit, welche jetzt in der Schöpfung besteht, dadurch ausgeschlossen wird; und demgemäß sagen sie, die Formlosigkeit des Stoffes sei der Geformtheit in der Zeit vorangegangen. Somit stimmt Augustin mit ihnen in einem Punkte überein und in einem anderen Punkte weicht er von ihnen ab; wie das noch besser Kapitel 69, Artikel 1 dargethan werden wird. Soweit aber nun der Wortlaut der Genesis in Betracht kommt, so wird die körperliche Kreatur formlos genannt, weil ihr eine dreifache Schönheit mangelte. Denn 1. fehlte dem ganzen durchscheinenden Körper, der da Himmel genannt wird, die Schönheit des Lichtes; weshalb gesagt wird: „Finsternis bedeckte den Abgrund.“ Es fehlte 2. der Erde an sich jene Schönheit, welche aus dem Zerfließen und der Entfernung des Wassers folgt; weshalb gesagt wird: „Die Erde war wüste oder unsichtbar;“ denn dem Auge bot sich nichts wie Wasser. Es fehlte 3. der Erde der Schmuck der Pflanzen und Kräuter; weshalb gesagt wird, daß sie „leer oder formlos“ war. Und so drückte Moses, da er zwei geschaffene Naturen vorausgeschickt hatte, nämlich Himmel und Erde, die Formlosigkeit des Himmels aus mit den Worten: „Finsternisse lagerten auf dem Abgrunde,“ inwiefern unter der Bezeichnung „Himmel“ auch die Luft eingeschlossen wird. Die Formlosigkeit der Erde aber drückte er aus mit den Worten: „Die Erde war wüste und leer.“
c) I. Die „Erde“ wird hier anders aufgefaßt von Augustin wie von den anderen Vätern. Augustin versteht darunter die Natur des Urstoffes, der nichts dem thatsächlichen Sein nach ist, aber alles Körperliche werden kann. Moses nämlich konnte diese Natur dem rohen Volke nur vergegenwärtigen vermittelst der Ähnlichkeit mit bekannten Dingen; und deshalb nennt er sie bald Erde, bald Wasser, damit man nicht denke, der Urstoff sei in Wahrheit Erde oder Wasser. Der Erde nun ist der Urstoff ähnlich, weil er der Träger der Wesensformen ist; dem Wasser, weil er zu Verschiedenem geformt werden kann. Die Erde also wird unsichtbar oder wüst genannt, weil der Urstoff nicht an sich erkennbar und auffaßbar ist, sondern nur vermittelst der Form erkannt oder „gesehen“ wird; insofern er nämlich dann nicht mehr wüst ist, sondern durch die Form einen Unterschied vom anderen erhält, der ihn erkennbar macht. Deshalb nennt auch Plato als Urstoff den Ort oder den Raum; der an sich nicht erkennbar ist, sondern es erst dadurch wird, daß er etwas in sich aufnimmt und so es zu einem im Orte befindlichen macht. Ohne daß etwas im Orte ist, wird der Ort selber nicht zu etwas Erkennbarem. Die anderen Heiligen nehmen aber „Erde“ für den bestimmten Körper, den wir Erde nennen und der also noch ungeformt war. II. Die Natur kann nur aus einem bestehenden Vermögen etwas thatsächlich Seiendes machen. Also muß bei ihrem Einwirken das Vermögen, das da Gegenstand ihrer Wirksamkeit ist, der Zeit nach voraufgehen; das Ungeformte kommt da vor dem Geformten. Gott aber bringt die Dinge aus Nichts hervor und kann also sogleich das Ding als vollendetes hinstellen. III. Eine Eigenschaft, insoweit sie hinzutretende Form ist, besteht in der Thätigkeit oder im Thätigsein; die weiße Farbe macht z. B. weiß. Der Stoff aber ist seiner Natur nach Vermögen, etwas zu werden. Also widerspricht es weit mehr dem Stoffe, thatsächliches Sein zu haben ohne Form; als der zur Substanz hinzutretenden Eigenschaft, thatsächlich zu sein ohne von einem Subjekte oder einer Substanz getragen zu werden. IV. Wenn nach den anderen Heiligen die Formlosigkeit auch der Zeit nach der Geformtheit des Stoffes vorangegangen ist, so rührte dies bei ihnen ganz und gar nicht von der Machtlosigkeit Gottes her, sondern von seiner Weisheit; damit nämlich in der Herstellung der Dinge die Ordnung gewahrt sei,, indem aus dem Unvollkommenen die Dinge zum Vollendeten geführt werden. V. Die alten Naturphilosophen nahmen eine Vermengung im Urstoffe an, die allen Unterschied ausschloß. Nur Anaxagoras stellte die Vernunftkraft auf als geschieden vom Stoffe und nicht mit selbiger vermengt. Die heilige Schrift aber nimmt gleich im Anfange vielfache Verschiedenheit an. Da ist zuerst die Verschiedenheit von Himmel und Erde. Dann existiert die Verschiedenheit der Elemente bezüglich ihrer Formen; denn sie nennt Erde und Wasser, während sie Feuer und Luft nicht erwähnt, da für das rohe Volk es nicht so klar war, daß dies wirklich Körper seien. Plato. ver stand (Timaeus cap. 26.) unter dem „Geiste des Herrn“ freilich die Luft, die ja auch des öfteren „Geist“, „Wehen“ genannt wird; und das Feuer fand er ausgedrückt im Worte „Himmel“, der seiner Natur nach feurig ist; wie Augustin (8. de civ. Dei 11.) berichtet. Rabbi Moses aber fand das Feuer ausgedrückt in den „Finsternissen“; weil das Feuer in seinem eigentlichen Bereiche, in seinem Innern nicht leuchtet, sondern nur nach außen hin. Jedoch hat die Schrift die Gewohnheit, unter dem „Geiste des Herrn“ immer den heiligen Geist zu verstehen. Derselbe schwebt über den Wassern nicht zwar in körperlicher Weise; sondern wie der Wille des Künstlers über dem Stoffe schwebt, den er formen will. Endlich ist noch eine Verschiedenheit vorhanden; nämlich nach der Lage. Denn die Erde war unter den Wassern und ward dadurch unsichtbar. Die Luft aber, als Träger der Finsternisse, war über den Wassern: „Die Finsternisse bedeckten das Angesicht des Abgrundes.“
