Vierter Artikel. Es giebt in den Dingen nichts Unendliches der Zahl nach.
a) Das Gegenteil scheint wahr zu sein. Denn: I. Was einmal im Zustande des Vermögens ist für das thatsächliche Sein; das kann auch wirkliche Existenz gewinnen. Die Zahl aber kann bis ins Unendliche vermehrt werden. Also kann es auch eine thatsächlich unendliche Zahl geben. II. Davon ist ein Beispiel leicht gefunden. Von jeglicher Gattung kann ein Einzelding existieren. Die Gattungen in der „Art“: Figur aber sind unendlich. Also können an Zahl unendliche Figuren existieren. III. Es besteht dafür gar kein Hindernis. Denn die Dinge, welche zu einander in keinem Gegensatze stehen, hindern sich nicht. Gesetzt nun es gäbe eine gewisse Menge von Dingen; dazu steht nicht im Gegensatze, daß nicht noch viele andere existieren können. Also ist eine unendliche Zahl thatsächlich möglich. Auf der anderen Seite heißt es im Buche der Weisheit (11, 21.): „Alles hast Du eingerichtet in Gewicht, Zahl und Maß.“
b) Ich antworte, daß über diesen Punkt eine zweifache Meinung bestand. Einige nämlich, wie Avicenna und Algazel, behaupteten, es sei wohl unmöglich, daß eine thatsächlich unendliche Menge an und für sich bestehe; aber wohl könne die Möglichkeit angenommen werden, eine solche Menge ergebe sich nebenbei. Und diesen Unterschied verstanden sie so. Sie nannten eine unendliche Menge an und für sich, im Fall zu einem gewissen Egebnisse es erfordert sei, daß eine unendliche Menge bestehe, dieselbe also beabsichtigt würde; — das sei unmöglich. Denn in diesem Falle würde das bezweckte Ergebnis von vorhergehenden unendlich vielen Elementen abhängen und könnte somit nie erreicht werden; da unendlich viele Elemente nicht durchmessen werden können. Nebenbei aber existiert eine solche unendliche Menge z. B., wenn einem Schmiede der Hammer zerbricht und er muß somit einen anderen nehmen. Dieser zerbricht wieder und so weiter. Denn das wäre hier nebenbei, daß eine unendliche Zahl von Hämmern gebraucht würde und es bestände deshalb kein Hindernis für das Erzeugnis, dem der Hammer dienen soll. Würde jedoch in dem nämlichen Falle die Kunst des Schmiedens von der Seele abhängen; von der Seele dann die Hand, von der Hand der Hammer u. s. w. ohne Ende, so wäre dies eine unendliche Menge an und für sich, und es könnte das Ergebnis niemals zustande kommen. Aber auch eine solche unendliche Menge nebenbei ist eine Unmöglichkeit. Denn jede Menge muß innerhalb einer Gattung stehen. Die der Menge entsprechenden Gattungen sind gemäß den verschiedenen Gattungen von Zahlen. Keine Gattung Zahlen aber, wie die Dreiheit, die Vielheit u. dgl. ist unendlich; denn jede Zahl ist eine Menge, welche durch die Einheit gemessen wird. Deshalb ist jede wie auch immer aufgefaßte unendliche Menge von vornherein eine Unmöglichkeit. Ebenso ist jede Menge etwas Geschaffenes und jedes Geschaffene wird durch eine in allem bestimmte Absicht geleitet und zusammengefaßt; denn der da wirkt, der thut es nicht ins Blaue hinein. Also muß auch alles Geschaffene von einer bestimmten Zahl begleitet sein; und jene Menge, die nebenbei unendlich sein soll, ist wenigstens mit Beziehung auf Gott, dem in allem erstwirkenden Grund, unmöglich. Dabei kann es jeboch eine Menge geben, die dem Vermögen nach unendlich ist, d. h. immer mehr vergrößert werden kann. Denn die Vermehrung ist nur eine Folge der immer größeren Teilung eines Körpers; da, je mehr etwas geteilt wird, eine desto größere Menge von Teilen existiert. Gerade so also wie in der Teilung des zusammenhängenden Ganzen das Unendliche erfunden wird dem Vermögen nach, somit das material Unendliche, was immer noch mehr werden kann; so wird ganz in derselben Weise das Unendliche erfunden, nämlich das material Unendliche, also dem Vermögen nach in der Vermehrung der Menge; so zwar daß thatsächlich nur immer eine bestimmte Menge existiert, die jedoch immerdar vermehrt werden kann. I. Der erste Einwurf fehlt durch Zweibeutigkeit. Denn alles, was im Zustande der Möglichkeit ist, kann eben in der Weise nur Thatsächlichkeit gewinnen, in weIcher es möglich ist. Jeder Teil des Tages z. B. hat Möglichkeit zu sein; aber nicht in der Weise, daß alle Teile des Tages Möglichkeit haben, insgesamt zugleich zu sein, sondern es kann nur ein Teil nach dem anderen Thatfächlichkeit gewinnen. Und so ist es bei der unendlichen Menge. Sie gewinnt Wirklichkeit in der Weise wie sie ist; nämlich so, daß das eine nach dem anderen kommt und nicht das Ganze zugleich; denn nach jeder thatsächlich bestehenden Menge kann ich mir eine andere als folgende und so ohne Ende denken. II. Die verschiedenen Gattungen von Figuren haben Unendlichkeit auf Grund der Unendlichkeit in der Zahl. Es giebt dreiseitige, vierseitige etc. Figuren. Wie also eine zählbare unendliche Menge nicht in der Weise thatsächliche Wirklichkeit gewinnt, daß sie ganz zu gleicher Zeit sei, so auch nicht die Menge der Figuren. IIl. Demnach befindet sich eben im vollkommenen Gegensatze die thatsächliche Unendlichkeit zu jeder bestimmten Gattung von Mengen; denn jede Art von Mengen besagt bereits dadurch selber Endlichkeit und Begrenztheit. Somit wird hier die gemachte Voraussetzung geleugnet.
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